Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
kön-
nen. Natürlich kommt es vor, daß wir Fehler ma-
chen, aber doch aus Versehen, nicht aus Prinzip.
Algerien ist nicht ganz im Lot. Aber wenn es hier
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und da ins Straucheln gerät, heißt das doch nicht,
daß es völlig ins Schleudern kommt. Es ist das
Schicksal junger Nationen wie der unseren, die
ihren Weg suchen, Rückschläge zu erleben,
Mißgriffe zu tun. Aus seinen Fehlern kann man nur
lernen. Auf diesem Weg sind die Großmächte zu
dem geworden, was sie heute sind. Ihr Verdienst
liegt darin, daß sie stark genug waren, Widrigkei-
ten in den Griff zu bekommen, das Beste daraus zu
machen …“
Das Problem mit den Erbauern von Totempfäh-
len liegt darin, daß sie felsenfest glauben, sie könnten mit einem einzigen Baumstamm den ganzen
Wald verdecken und gleichzeitig noch die Wild-
diebe abschrecken.
„Monsieur …“
„Schweigen Sie! Sie haben weder das Zeug zum
Märtyrer noch sind Sie aus dem Stoff, aus dem die
Helden sind, Kommissar. Sie sind nicht einmal so
lächerlich wie Ihre eigenen Figuren. Wenn Sie der
Meinung sind, wir würden eine klägliche Gestalt
abgeben, dann flößen Sie uns doch ein wenig von
Ihrer aufrechten Gesinnung ein, vielleicht hilft uns das auf die Beine und wieder in die Gänge. Unser
Volk ist erschöpft, enttäuscht, orientierungslos. Es gefiele uns gar nicht, wenn unsere Elite nur aus
Schwarzsehern bestünde. Was wir brauchen, ist ein
guter Stern, an den wir glauben, in dessen Licht
wir unseren Weg gehen können. Miesmacherei ist
nicht das, was uns derzeit begeistert. Das Stim-
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mungsbarometer verlangt nach anderem.“
Plötzlich merkt er, daß sich mein Buch in seinen
Händen schon halb aufgelöst hat, wackelt mit dem
Haupt, wie das ein Sultan angesichts seiner un-
dankbaren Eunuchen tut und fällt plötzlich in sich
zusammen: „Es schmerzt mich für Sie, Kommissar
… Monsieur le Délégué hat mich auch noch beauf-
tragt, Sie in Kenntnis zu setzen, daß Sie sich ab
heute im vorgezogenen Ruhestand befinden …
Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen.“
Ein schizophrener Chef rechtfertigt noch lange
keinen Aufstand, und so schlage ich die Hacken
zusammen, mache auf dem Absatz kehrt und schi-
cke mich an zu gehen.
„Kommissar!“
Ich wende mich um.
Er drückt mir den Finger aufs Brustbein: „Da
gibt’s ein Sprichwort: Willst du voran, zieh nicht
zu großes Schuhwerk an.“
„Stammt von mir.“
Er macht ein Gesicht, als wäre ich ihm auf den
kleinen Zeh getreten.
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Ich war schon auf der Rue Larbi Ben M’hidi ange-
langt, als mir einfiel, daß ich mein Auto auf dem
Parkplatz der Délégation vergessen hatte. Ich habe
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ein Taxi konfisziert und bin nochmal zurückfahren.
Erst als ich hinterm Steuer sitze, kommt mir mei-
ne Einsamkeit in vollem Ausmaß zu Bewußtsein.
Mina und die Kinder sind noch immer in Béjaïa,
und die paar Freunde, die ich habe, haben mit sich
selber genug zu tun. In meiner wachsenden Ver-
zagtheit finde ich nicht den Mut, ins Büro zurück-
zukehren und meine Sachen abzuholen. Schlagartig
kommt mir Algier so unergründlich wie eine Paral-
lelwelt vor.
So gebe ich Gas und fahre drauflos, immer wei-
ter, durch die Gluthitze der Straßen, mit leerem
Blick, hohlem Kopf, taub für das Getöse rundum,
nicht wissend woher noch wohin.
„Bist du farbenblind oder was, du Idiot?“ brüllt
ein LKW-Fahrer mich an und zeigt auf eine Am-
pel, die längst auf Grün umgesprungen ist.
Seine Stimme dringt tausendfach gefiltert zu mir
durch. Ich verheddere mich mit dem Schaltknüp-
pel, würge mehrfach hintereinander den Motor ab.
Als ich durchstarten will, springt die Ampel gerade wieder auf Rot. Ich fahre mit aufheulendem Motor
los, löse ein schrilles Hupkonzert und eine gräßli-
che Lawine von Flüchen aus … Willst du voran,
zieh nicht zu großes Schuhwerk an! sagt die Stimme in meinem Kopf … Ich habe dich oft genug
gewarnt, näselt eine andere … Schweigen Sie …
Die Stimmen jagen einander, überschlagen sich,
belagern mich, hämmern auf meine Schläfen ein,
gehen mir durch Mark und Bein … Wenn man dich
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so hört, könnte man meinen, es handle sich um
meinen Totenschein … Ziemlich gut getroffen …
Monsieur le Délégué hat mich beauftragt … wie
sehr … angewidert …
Meine Reifen quietschen: Ich wache auf, zwei
Zentimeter vor meiner Stoßstange eine Frau, die
mich aus riesigen Augen anschaut und schleunigst
über die Straße läuft, ihre
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