Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
blickt auf seine Schuhspitzen. „Die Sache
trifft mich völlig unvorbereitet. Ich weiß nicht, wie ich angemessen reagieren soll.“
„Davon geht doch die Welt nicht unter, Lino.“
Er nickt. „Du sollst wissen, daß du mich jederzeit
anrufen kannst.“
„Würde ich mir nie verzeihen, wenn ich daran
zweifeln würde.“
Er hebt zögernd die Hand zum Gruß und trollt
sich davon.
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* * *
Wie immer, wenn ich nicht mehr weiter weiß, er-
tappe ich mich dabei, wie ich Kurs auf Da Achour
nehme. Er ist mein Tranquilizer. Ich treffe ihn auf der Veranda am Meer an, wie er friedlich in seinem
Schaukelstuhl döst; aus dem offenem Hemd quillt
sein Elefantenbauch, während die Ohren unterm
Strohhut verschwunden sind. Als er mich mit mei-
ner tristen Miene auftauchen sieht, beugt er sich
übers Radio, um den Ton leiser zu drehen, und
trifft Anstalten, mich mitsamt meinem Welt-
schmerz in Empfang zu nehmen.
Ich setzte mich neben ihn auf einen Schemel und
lasse meinen Blick über die Wellen schweifen. Der
Strand ist belebt. Die Rufe der Kinder schwirren
hinter den Schreien der Möwen einem Himmel zu,
der purer nicht sein könnte. Jugendliche Schwim-
mer wagen sich weit aufs Meer hinaus, um junge
Damen, die sich scheinbar gleichgültig im Schatten
ihrer Sonnenschirme räkeln, zu beeindrucken, und
spotten der Aufregung der Rettungsschwimmer.
Auf Felsen, die wie Geysire schäumen, mühen sich
Angler, widerspenstige Fische an die Leine zu be-
kommen. Das ist der algerische Sommer, zwar mit
Höhen und Tiefen, aber wild entschlossen, keine
Zugeständnisse zu machen. Müßte ich auf einer
Leinwand die Essenz des Lebens festhalten, dann
in den Farben dieses Sommers, dieses Waffenstill-
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standes.
Da Achour spitzt die Lippen: „Ich habe schon
gestern mit dir gerechnet.“
„Dann bist du also im Bilde?“
„Es gibt heutzutage keine Geheimnisse mehr.
Das ganze Leben wirkt wie eine Fernsehaufzeich-
nung.“
Er schiebt gemächlich die Krempe seines Stroh-
huts hoch und schaut mir ins Gesicht. „Und?“
„Ich krieg’s schon irgendwie in den Griff.“
„Gut so. Die modernden Gewässer im Teich
vermochten noch nie die Reinheit der Seerose zu
trüben.“
„Aber sie erheben sie auch nicht in den Rang ei-
ner Krone.“
„Kronen kümmern sie nicht. Sie ist sich selbst
Majestät genug.“
Ich blicke skeptisch.
Er fügt hinzu: „Ich habe mir Sorgen um dich ge-
macht.“
„Hattest du Angst, ich würde mir eine Kugel in
den Kopf jagen?“
„So unberechenbar, wie du bist …“
Ein großer Fußball landet neben der Veranda.
Zwei Kinder kommen schüchtern näher, um ihn zu
holen, und beobachten uns furchtsam aus den Au-
genwinkeln. Mein Lächeln schlägt sie schneller in
die Flucht als die Grimasse vom Schwarzen Mann.
„Und? Was meinst du? Hab ich eine Dummheit
gemacht?“
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„Wenn du anfängst, an dir zu zweifeln, bist du
keine Bohne wert.“
„Ich zweifle ja gar nicht.“
Da Achour schiebt seinen Hut definitiv hoch und
rappelt sich mühsam auf, um mir von Angesicht zu
Angesicht zu erklären: „Ein Dichter macht keine
Dummheiten. Ein Dichter deckt die Dummheiten
der anderen auf. Ist doch logisch, daß das nicht
jeden begeistert. Ich habe dein Buch gelesen. Es ist der Mühe wert, glaub mir.“
„Sie haben mich einfach abserviert. Nach fünf-
unddreißig Jahren, in denen ich mich täglich mit
diesen Idioten habe herumschlagen müssen. Nach
fünfunddreißig Jahren, in denen ich mich grün und
blau geärgert habe, in denen ich felsenfest an Recht und Ordnung geglaubt habe, an das Vorhandensein
von Prinzipien, an Loyalität – allen Lügen, aller
Demagogie, allen schmutzigen Machenschaften
zum Trotz. Ich wollte mich schon längst pensionie-
ren lassen, da kam mir dieser bekloppte Krieg in
die Quere. Ich dachte, der brave Mann verläßt sein
Schiff nicht, wenn es zu kentern droht, er versucht alles, um den Mast wieder aufzurichten. Und dann,
eines Morgens, zeigen sie dir den Hinterausgang
und verlangen von dir, die Fliege zu machen, ohne
jede Vorwarnung …“
„Denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Welt
wird immer prosaischer. Die schlichten Freuden
von einst, die Freude am Schönen, das ist heute aus der Mode gekommen. Das einzige Drama, das man
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kennt, ist das Drama des Mißerfolgs, der einzige
Glaube, der noch gilt, der Glaube ans Investment.
Der Mensch hat anstelle eines Gewissens nur noch
eine fixe Idee: Money Money Money …
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