Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Einkaufstasche furcht-
sam gegen ihre Brust gedrückt.
Die Nacht überrascht mich auf der Strandpromena-
de, wie ich an einem Geländer lehne und zwischen
den Lichtern des Hafens meinen Gedanken nach-
hänge. Eine Polizeistreife, die ich nicht habe kom-
men sehen, umstellt mich wortlos, die MPs im An-
schlag, bei der kleinsten Bewegung einsatzbereit.
Ein Brigadier fährt mir mit dem Schein seiner Ta-
schenlampe übers Gesicht und verlangt dann meine
Papiere.
„Ist kein guter Platz hier, Kommissar!“ empfiehlt
er mir, „es wurde ein verdächtiges Fahrzeug hier
im Sektor gesichtet.“
„Wie spät ist es?“
„Ziemlich spät. Fahren Sie nach Hause.“
Ich bedanke mich und steige wieder in mein Au-
to.
Kaum stehe ich vor meiner Wohnungstür, klin-
gelt drinnen das Telefon. Ich beeile mich ohne zu
wissen warum.
Vom anderen Ende der Leitung springt mich die
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heisere Stimme meines Freundes Dine an: „Ich
versuche schon seit einer Ewigkeit, dich zu errei-
chen.“
„Die Neuigkeiten sprechen sich ja schnell her-
um.“
„Vor allem die unangenehmen. Wo hast du denn
gesteckt?“
„Am Strand. Hab den Kopf in den Sand ge-
steckt.“
„Gefällt mir gar nicht, wenn du so redest, Bra-
him. Ich baue darauf, daß du einen kühlen Kopf
behältst.“
„Ich werde ihn gleich in den Kühlschrank ste-
cken“, verspreche ich ihm.
„Sehen wir uns morgen? Ich bin ab zehn im Café
En-Nasr. Falls du meinst, ein Freund sei dazu da,
einem zur Seite zu stehen, wenn man in Schwie-
rigkeiten steckt, dann weißt du wenigstens, wo du
ihn finden kannst.“
„Nett von dir.“ Ich lege auf.
Erst als ich mich aus meiner Jacke schäle, wird
mir bewußt, daß ich seit dem Morgen keinen Bis-
sen zu mir genommen habe. Im Küchenschrank
finde ich Brot und Käse, braue mir einen Kaffee
zusammen und verziehe mich ins Wohnzimmer,
um mir weiter das Hirn zu martern. Ich lasse mich
in einen Sessel am Fenster fallen. Hinter den stau-
bigen Scheiben sehe ich die Oberstadt, die im Nir-
wana schwebt. Algier lockt keinen Nachtschwär-
mer mehr an. Nur Gespenster geistern noch durch
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seine Nächte. Die Stadt hat den Glauben an den
Abend verloren, der sich vor schlechtgelaunten
Schlaflosen prostituiert, wittert in der Ruhe nach
dem Sturm schon die Ruhe vor dem nächsten …
Das Klirren von Geschirr schreckt mich auf. Ich
bin im Sessel eingenickt. Lino sitzt da, auf dem
Sofa neben mir, hält sich an einer Tasse Kaffee fest und schaut mich ganz komisch an.
„Wie bist du denn hier reingekommen?“
„Nichts einfacher auf der Welt: Du hast verges-
sen, die Tür zu schließen.“
„Sieh an!“
Er setzt die Tasse auf dem Beistelltisch ab und
beugt sich über meine Augenringe. Er ist besoffe-
ner, als die Polizei erlaubt.
„Wenn sie dich wirklich rausschmeißen, dann
geb ich meinen Dienstausweis zurück“, tut er soli-
darisch kund.
„Ich kann mir aber keinen Fahrer leisten.“
„Das ist das letzte, worüber ich mir den Kopf
zerbrechen würde. Begabung, Können, Vorbehalte,
das zählt doch alles gar nichts mehr. Das einzige
Beförderungskriterium, das sie uns gelassen haben,
ist die Intrige. Und da werde ich mich zurückhal-
ten!“
Lino glaubt nicht wirklich, was er da sagt. Er ist
mein Zögling. Ich habe ihn im Geist der Sunna und
der Empfehlungen der verbürgten Hadiths* [* arab.
„Rede, Gespräch, Erzählung, Bericht“ – Verbürgter Ausspruch des Propheten Mohammed. Die Hadith-Sammlungen 36
reflektieren die Lebensgewohnheiten („Sunna“) des Propheten und gelten neben dem Koran als Hauptquelle des Islam.]
erzogen. Wenn er sich jetzt so gehenläßt, dann nur, weil er leidet. Das ist seine Art von Protest.
Ich schiebe ihn freundlich beiseite und gehe mich
umziehen. Als ich zurückkomme, steht er am Fens-
ter, drückt sich die Nase an der Scheibe platt, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ich stelle mich neben ihn und klopfe ihm auf die Schulter,
ein kleiner Schwindel, damit er glaubt, daß Brahim
Llob ein hartgesottener Bursche ist, der Tiefschlä-
ge wegsteckt wie nichts. Er wendet sich um und
liest in meinem Blick. Seine Stirn legt sich in Sor-genfalten. Ich begreife, daß die Haltung, die ich
mir da aufzwinge, offenbar nicht sonderlich
glaubwürdig wirkt.
„Was gedenkst du zu tun?“ quetscht er hervor.
„Nachdenken.“
„Darf ich daraus folgern, daß ich dich in Ruhe
lassen soll?“
„Ich bin stolz auf deinen Scharfsinn!“
Er
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