Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
dich dafür mit Thunfischpastete überhäufen.«
Er sah von dem Töpfchen auf, ein kleiner Rest war noch drin. Sollte er etwas für Tin-Tin übrig lassen?
»Okay«, sagte sie und erhob sich langsam, wohl, um ihn nicht zu erschrecken. Das wusste er zu schätzen. Er sah der Menschenfrau nach, wie sie die Straße entlanglief. Eine schlanke Frau mit dem geschmeidigen Gang einer Katze und einer dunklen Haut, die ihn an ganz junge Bäume erinnerte. Außerdem roch sie gut. So gut wie die warme, dunkelrote Farbe ihrer Seele, die aus ihr herausleuchtete.
7
M eine Güte. Was denkt er, was er da anschleppt? Eine Marienstatue?
Während die drei Herren ihrer Tischrunde sich angeregt unterhielten, beobachtete Victorine Hersant aus dem Augenwinkel, wie der Oberkellner Gustave mit einer Flasche, die er in übertrieben erhabener Geste vor sich hertrug, gemessenen Schrittes an ihren Tisch am Fenster trat. Ihm auf dem Fuß folgte Jacques. Der belgische Kellner kam zwar etwas bescheidener daher, dennoch wirkte ihr Aufmarsch wie eine Prozession.
Victorine Hersant ließ ihren Blick durch den Speisesaal wandern. Sie und ihre drei Freunde, oder eher: Kampfgefährten im Dienste einer edlen Tradition, speisten im rechten der beiden Säle des L’Ingénue. An den Wänden der barocken Räume warfen in Türkis und Weiß eingefasste Spiegel das Kerzenlicht zurück. Dezent frivole Aktgemälde verwiesen auf die skandalöse Historie des Hauses als ehemalige Residenz und Theater des Marquis de Sade. De Sade war auch der Grund, weswegen sie seit Jahren immer wieder nach Mazan kamen, diesem Fünftausend-Seelen-Fleckchen am Fuße des Mont Ventoux.
Mit einer für Victorines Geschmack viel zu servilen Geste präsentierte Gustave den Veuve Clicquot. Victorine Hersant warf einen Blick auf das Etikett – ein 1985er La Grande Dame, einer der unvergesslichsten Jahrgänge – und nickte.
Während Gustave die Sechshundert-Euro-Flasche mit einem dezenten Ploppen öffnete und ihr als Erstes einschenkte, wandte Victorine sich an ihren Tischnachbarn zur Linken. Wobei sie sich in seine Richtung neigte und sich damit gleichzeitig auffällig unauffällig vom Oberkellner abwandte. Sie konnte es nicht leiden, wenn das Personal ihren Tisch so bevorzugt bediente. Konnte Gustave seinen Job nicht dezenter und unauffälliger erledigen? Victorine hasste es, aufzufallen. Zumal es ihrem Vorhaben ganz und gar nicht dienlich war.
»Hattest du einen angenehmen Tag in Aix, mein lieber Philippe?«, fragte sie raunend.
Der Angesprochene bedachte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue und zauberte ein süßlich-spöttisches Lächeln in sein sattes, ovales Notar-Gesicht. Kurz tauchte das Bild des noch jungen Philippe vor Victorines innerem Auge auf, schlank und durchtrainiert. Herrje, du solltest lieber selbst Tennis spielen, als nur dabei zuzuschauen, dachte sie leicht genervt.
»Oh ja, ma chère. Unsere liebe Freundin Natalie hatte zwar nicht mit meinem Besuch gerechnet. Dennoch wurde es ein durchaus fesselnder Nachmittag.«
Der Notar Philippe Amaury zwinkerte ihr zufrieden zu, und Victorine spürte einen zweiten Stich des Ärgers. Natürlich kannte niemand ihre Codes und Subtexte, mit denen sie sich in Anwesenheit anderer über die größten Intimitäten austauschen konnten. Aber Amaurys Anspielung war nun wirklich alles andere als subtil gewesen.
Gustave umrundete César Alexandre, der Victorine gegenüber saß, um auch ihm einzuschenken. Dabei nahm der Oberkellner eine Haltung ein, die er sich vom Butler der britischen Fernsehserie Downton Abbey abgeschaut haben musste, mutmaßte Victorine. Ihr langjähriger Liebhaber César Alexandre nahm dessen Auftritt sichtbar gelassener hin als sie. Wie so vieles.
»Und du, mon cher ami, Alexis?«, wandte Vic sich mit vertraulich gesenkter Stimme dem hageren, grimmigen Richter an ihrer rechten Seite zu. »Wie schön, dass du heute Abend noch rechtzeitig zu uns stoßen konntest. Wie ich hörte, bist du ja schon eine Weile hier im Süden unterwegs.« Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln, was seine Miene noch grimmiger werden ließ.
»Ich verstehe, dass du dich dafür interessierst, wie ich meine Tage gestalte. Aber alles, was außerhalb dieser Stadt geschieht, geht dich nichts an, meine Teure.«
Manchmal hatte sie Lust, ihn zu schlagen, so wie jetzt. Doch dummerweise mochte er das. Ekel oder besser noch Angst in den Augen einer Frau weckten seine Aggressionen. An seinem flackernden Blick erkannte Victorine, dass Richter
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