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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Bagnol
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seinem Maul. Erst jetzt registrierte er den merkwürdigen Kräutergeruch, der den Kleinen umhüllte. Kein Wunder, dass er ihn nicht hatte wittern können.
    »Was ist denn das für ein Benehmen, wildfremde Kater anzuspringen?«, fragte er jetzt streng.
    Augenblicklich hörte der Kleine mit seinem Ich-bin-ein-großer-böser-Kater-Theater auf und kauerte sich mit bedröppelter Miene auf alle viere.
    »Louise hat gesagt, ich soll immer schön aufpassen«, sagte er mit hellem Stimmchen.
    »Wer ist Louise?«
    Der Kleine schaute ihn von unten treuherzig mit seinen Knopfaugen an. »Louise eben!«
    Damit schien alles gesagt zu sein.
    »Worauf sollst du denn immer schön aufpassen?«
    Der Kleine blinzelte ein paarmal.
    »Ich weiß nicht.« Er nieste und leckte sich die Schnauze. »Louise sagt auch immer, ich soll nach Hause gehen, aber ich mag nicht.«
    »Wie heißt du Krümel denn?«
    Der Kleine legte sich auf dem rissigen Pflaster auf die Seite und reckte sich wohlig in der Morgensonne. »Rhmmmrrhmm.« Dann gähnte er mit seinem winzigen Raubtiergebiss.
    »Denkst du noch nach, oder weißt du es nicht?«
    »Was? Ach so. Ich glaube, Tin-Tin.«
    »Du glaubst?«
    »Diese Frau … also … rhmmm … die mit den drei Beinen und den roten Doppelaugen … ich weiß nicht … rhmmm … und wie heißt du? Wollen wir nicht zusammen schön aufpassen?«
    Schön aufzupassen war seine zweite Natur, aber das brauchte der Kleine nicht zu wissen. Der Wanderer spähte aufmerksam die Gasse hinab. Mit jungen Katzen zu spielen war etwas für satte Kater, nicht für hungrige. Kurz fragte er sich, ob er Tin-Tin vielleicht irgendwelche Informationen über die hiesige Katzengemeinde entlocken könnte. Aber erstens wäre das wahrscheinlich ziemlich mühsam. Und zweitens löste das nicht sein Hungerproblem. Dann fiel ihm wieder dieser grüne Busch-Geruch an dem Graublauen ein. Er näherte sich schnuppernd dem Kleinen. Der schnupperte prompt eifrig zurück.
    »Halt mal still!«
    »Warum denn?«
    »Du hast da was.«
    »Was denn?«
    Der Geruch schien von dem Glöckchen auszugehen, das an Tin-Tins Halsband hing.
    »Was ist das da an deinem Hals?«
    »Wo denn?« Tin-Tin versuchte, zu seinem Hals zu schielen, was ihm natürlich nicht gelang.
    »Na, das Ding, das da hängt.«
    »Ach, daaaaas. Das macht immer so dingeling.«
    »Schüttel mal den Kopf.«
    Tin-Tin schüttelte den Kopf. Kein Dingeling.
    »Ganz kaputt«, erklärte er traurig.
    Der Kleine versuchte es noch einmal und sprang mit allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft. Aber das Glöckchen blieb stumm.
    »Macht nichts. Dingelinge sind sowieso nichts für große, böse Kater.«
    »Nicht?«
    »Nein. Hör mal, du weißt nicht zufällig, wo es hier etwas zu fressen gibt?«
    Er erwartete nicht wirklich eine hilfreiche Antwort auf diese Frage, doch da piepste Tin-Tin: »Dohoch.«
    »Wirklich? Wo denn?«
    Der Kleine ging in die Hocke und suchte mit der grimmigen Miene eines großen, bösen Katers die Straße ab. »Wir müssen jagen«, verkündete er gewichtig. »Böse, gemeine Mäuse. Und Krabben. Und Lebern!«
    Er hätte es wissen müssen. Er sollte jetzt wirklich …
    »Da! Fressen!«, rief der Kleine und spurtete los. Direkt auf einen Schmetterling zu, der ahnungslos dicht über dem Pflaster durch die Luft tanzte. »Gleich hab ich dich, ich muss nur … ha, warte … jetzt werd ich …« Der Falter und der kleine Kater verschwanden um die nächste Hausecke. Sicher würde Tin-Tin schon im nächsten Moment vergessen haben, dass er einem schwarzen, zerrupften Kater begegnet war.
    Der Wanderer kratzte sich ausgiebig am Hals, was die kleinen Quälgeister in seinem Fell aufscheuchte, aber nicht weiter beeindruckte. Dann schüttelte er den Kopf, stellte fest, dass sein Ohr immer noch schmerzte, und machte sich auf den Weg. In die andere Richtung als Tin-Tin.
    Jetzt, da das Sonnenlicht in eigenartigen Bahnen zwischen den Häusern in die Gassen flutete, kam ihm die dunkle Bedrohung vom Vorabend unwirklich vor. Diese Stadt wirkte wie der friedlichste Ort der Welt. Von den wenigen Menschen, denen er begegnete, ging keinerlei Feindseligkeit aus. Wie hatte es nur passieren können, dass das Böse sich hier einnistete?
    Vor den meist offen stehenden Haustüren standen kleine Teller, offensichtlich für Katzenfutter. Doch sie waren alle leergeleckt. Einmal entdeckte er einen dicken, blaugrauen Kater, der ihn mit großen, runden Augen anglotzte und gleich darauf behäbig in einem Haus mit blauen Läden verschwand.

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