Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Jura-Studienzeiten hatte er sich geweigert, den Namen des ihr mit neunzehn Jahren angetrauten Gatten auszusprechen. Victorine war schon damals davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen eifersüchtigen Impuls handelte. Den der Notar seither sorgsam pflegte.
Vermutlich um mir eine Freude zu bereiten. Dieser Idiot.
Doch es war nicht Philippe gewesen, der Victorine mit einundzwanzig zu seiner Geliebten gemacht hatte. Sondern César.
Vic war in einem extrem wohlhabenden und streng religiösen Elternhaus aufgewachsen. Ihr Mann François war ihr erster und einziger Liebhaber gewesen. Dank seiner horizontalen Einheitskost verfügte sie damals nur über ein sehr schmales Spektrum sexueller Erfahrungen. Das änderte sich schlagartig, nachdem César sie verführt und über mehrere Nächte hin »erweckt« hatte. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes von ihm entfesselt worden. Von aller Angst und Moral, aller Rücksicht und Scham. Ganz nach den Lehren de Sades.
Nach der Zeit des Dienens begann die Zeit des Herrschens. Als César eines Tages mit einer jungen Frau erschien, in deren Augen die Unschuld der Moralgefangenen stand, ergriff Vic die Initiative. Auf ihre kühle Art erklärte sie ihrem Mentor, dass er von nun an nicht mehr allein mit seinem Vergnügen war.
Das gefiel ihm außerordentlich.
Und da ihre Kommilitonen Philippe und Alexis einen Großteil ihrer beider Neigungen teilten, machte Victorine kurzerhand aus dem Duett ein Quartett – mal nur sie vier allein, mal mit neuen »Gästen« oder mit, wie sie es bald nannten: »Stipendiatinnen«. Schon das erste, ungeplante »Projekt« übertraf an Genuss und Unterhaltung all ihre Erwartungen. Es war ein Fest der Unterwerfung, Schönheit und Liebe gewesen. Darin hatten die vier Trost und Heimat gefunden. Und auch den heimlichen Namen für ihr Quartett.
»Wir sind die rechtmäßigen Erben des Marquis«, hatte Philippe erklärt.
Und Alexis? Er hatte seinen inneren Dämon enthüllt.
Setz einem Mann eine Maske auf, und er wird so sein, wie er wirklich ist.
Sie alle hatten bei ihrem ersten grand jeu, dem »Großen Spiel«, Masken getragen, um sich endlich so zeigen zu können, wie sie wirklich waren. In dieser Nacht hatten sie ihre letzten moralischen Schranken überwunden.
Im Laufe der Jahre wurden ihre Inszenierungen ausgefeilter. Und als Victorine und César den Ort Mazan, das Hotel mit seiner Historie und das Haus Nummer 9 entdeckten, dessen Grundstück einst zum Besitz ihres Meisters gehörte, da hatten sie den perfekten Rahmen für ihre Leidenschaften gefunden.
Die Diskretion, mit der sie in Mazan rechnen konnten, war für das bürgerliche Leben, das sie nach außen hin alle führten, unabdingbar. Dabei war Victorines Gatte François das geringste Problem. François interessierte es nicht, was seine Frau außerhalb der Stadtgrenzen trieb, solange nur seine Reputation als Bürgermeister nicht beschädigt wurde. Im Prinzip war er froh, dass Vic ihn in Ruhe ließ. Aber auch Alexis, dessen Aggressionen sich nur durch ihre Spiele auf natürlichem Weg abbauen ließen – ansonsten mussten sie mit Medikamenten kontrolliert werden –, würde nach seiner Rückkehr wieder ein verträglicher Vater, liebevoller Ehemann und gerechter Richter sein. Philippe würde mit seinen Enkeln spielen und César den Präsidenten vor allzu vielen Peinlichkeiten retten.
Dieses Jahr aber war alles anders. Der jungen Frau, die sie als Stipendiatin ausgewählt hatten, war im letzten Moment der Mut abhandengekommen. Statt eines Lebens in Lust und Luxus hatte sie es vorgezogen, sich mit dem Konditor in ihrem kleinen Kaff zu verloben. Victorine war immer noch aufgebracht, wenn sie daran dachte, wie viel Zeit, Mühe und Überzeugungsarbeit sie und César in die undankbare Kleine bereits investiert hatten.
Alexis, der ein Mann einfacher Lösungen war, hatte vorgeschlagen, statt der jungen Frau ihre langjährige Mitspielerin Natalie hinzuzuziehen. Doch Philippe winkte nur gelangweilt ab.
»Natalie ist über fünfunddreißig«, hatte er erklärt. »Damit hat sie die noch zumutbare ästhetische Grenze überschritten, will ich meinen.«
Hast du dich schon mal angeschaut?, dachte Victorine.
Während sie sich nun dem ersten von sieben Gängen widmeten, einem Kaisergranat in Orangensafran, besprachen die Erben des Marquis leise ihr weiteres Vorgehen.
»Können wir nicht eine der anderen zum Rendezvous bitten?«, schlug Philippe vor.
»An wen dachtest du denn?«
»Vielleicht Jeanette. Keine
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