Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Gesicht war reizend, wenn auch wenig eigen. Auffällig war ihr dichtes, kupferrot leuchtendes Haar, das sie sich in einem Knoten nach hinten gebunden hatte.
Dann fiel Victorine noch etwas anderes auf: Obwohl die junge Frau nur gewöhnliche Tätigkeiten verrichtete, lag etwas Sinnliches in jeder Bewegung. Auch huschten ihre Augen immer wieder zu den Tischen der Gäste. Mit einem Blick, in dem der Hunger nach Teilnahme an deren mondänem Lebensstil deutlich zu erkennen war.
Die Rothaarige wusste ganz sicher, dass alle Männer sie verstohlen beobachteten. Und Victorine war davon überzeugt, dass die Kleine damit spielen wollte. Nur nicht wusste, wie.
Mit einem anerkennenden Nicken zeigte Vic César ihr Einverständnis.
In diesem Augenblick entfernte sich auch der Hotelchef André Ugo.
»Und jetzt erzähl endlich von ihr«, forderte Philippe ungeduldig. »Ist sie eine Eugénie, Justine oder eine Juliette?«, zählte er die großen drei Figuren der de Sadeschen Literatur auf.
»Sie ist eine Eugénie«, antwortete César. »Neunzehn Jahre alt und eine unschuldige Seele, wenn auch kein ganz unschuldiger Körper mehr.«
Er kostete aus, als er dann sagte: »Und wenn ihr in den Spiegel dort an der Wand schaut, meine Freunde, könnt ihr sie sofort in Augenschein nehmen.«
Die Männer taten wie befohlen und gaben augenblicklich Geräusche des Wohlwollens von sich. Victorine war klar, dass von nun an weder Philippe noch Alexis je wieder über Jeanette, Natalie oder sonst eine der Stipendiatinnen der letzten achtzehn Jahre reden würden, die sie sich hier in der Region systematisch herangezogen hatten, um sie jederzeit nach Gutdünken verwenden zu können.
»Darf ich euch die Cinderella der Zimmerdiebe vorstellen«, fuhr César fort. »Sie heißt Julie und hat sich in mein Smokinghemd verliebt und sich mir außerdem, mehr oder weniger dezent, als Gespielin angeboten. Sie ist ein bezauberndes Mädchen, das sich ganz sicher freuen wird, unserer Gemeinschaft beizutreten. Daher habe ich unseren ach so dienstbaren Geist auch bereits damit beauftragt, das Haus herzurichten.«
Obwohl auch seine nächsten Worte an die Runde gerichtet waren, schaute er dabei nur Victorine an. »Julie ist übrigens nicht an Geld interessiert, sondern an etwas Unbezahlbarem.«
»Und zwar?«, drängte Alexis.
»An Träumen, Alexis. An richtig großen Träumen«, antwortete César.
»Etwa die vom Glück?«, fragte Philippe. »Wie entzückend.«
Sie lachten und stießen an.
8
E s war zwölf Uhr mittags und so heiß, als ob das Land sich in eine getoastete Brotscheibe verwandelt hätte. Zadira lag, nach ihrer erfolglosen morgendlichen Suche nach Tin-Tin, nackt bis auf ihren gestreiften Sportslip auf der schmalen Matratze. Ein nasses Handtuch um den Kopf sowie zwei auf der Brust und den Fußknöcheln. Sie hatte Wochenenddienst auf Abruf, was fast so war wie frei haben. Der Ventilator, den sie im U-Express gekauft hatte, wälzte träge die warme Luft um. Sie hatte in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen. Immer wieder waren die Bilder der jungen Frau aus Aubignan in ihr aufgetaucht, hatten sich mit denen skalpierter Katzen vermischt und mit den Geschichten von Madame Roche über tödliche Katzensommer. Ob da was dran war? Oder hatte die Lehrerin in ihrer Angst um Tin-Tin nur übertrieben?
Sie hatte das Mobiltelefon auf Lautsprecher geschaltet und konzentrierte sich wieder auf die dunkle Stimme mit dem singenden, maghrebinischen Zungenschlag.
»… wir waten durch einen Sumpf Scheiße, Camille«, sagte Djamal gerade. Der Kriminaltechniker sprach Zadira mit ihrem zweiten, altfranzösischen Vornamen Camille an, den sie, wie jedes bis 1993 geborene Kind, zusätzlich zu ihrem algerischen Namen tragen musste. Djamal tat das nur, wenn Zuhörer in der Nähe waren. Das war eine der Angewohnheiten, die sie als ehemalige Straßenkinder des Einwandererviertels noch immer pflegten. Djamal nannte Zadira bei seinen Telefonaten aus dem Dezernat Camille, sie ihn Ghislain.
»… und die Dienststellen in den Banlieues werden nicht nachbesetzt. Es fehlen dreihundert Fahnder, die Russenmafia vermehrt sich hundertfach, während du gerade einmal auf den Boden spuckst. Du verpasst also nur das Übliche.«
»Ich liebe das Übliche.«
Der Maghrebiner lachte auf.
»Und sonst?«, fragte sie, lächelte mit geschlossenen Augen in zärtlichen Gedanken an Marseille.
»Sonst? Sonst haben die Kollegen auf der Straße Schiss, dass ihre Wagen verwanzt sind, seit die …
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