Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
jedes Bedürfnis, ob nach Drogen, nach Liebe oder nach Wein am Mittag, als Sucht an. Jeder Mensch war ein Junkie, davon war sie überzeugt.
Ugo stellte zwei Gläser und eine Flasche kupferfarbenen Rosé in einer durchsichtigen Designer-Kühltasche auf den Tisch. Dann setzte er sich in den Sessel, in dem auch die anderen Angestellten gesessen hatten.
»Was kann ich Ihnen denn noch über Julie erzählen?«, fragte er.
»Was Sie an ihr mochten«, schlug Zadira vor.
Ugo wirkte überrascht. Zadira sah ihm dabei zu, wie er unter gesenkten Lidern alle spontanen Antworten aussortierte. Julie war eine reizvolle junge Frau gewesen, und es war nun einmal so, dass Männern bei solchen Frauen nicht als erstes »clever, witzig, mochte Sudoku« einfiel.
Schließlich sagte Ugo mit Bedacht: »Ihren Respekt. Respekt vor den Dingen. Julie ging immer sorgsam mit allem um. Mit der Leinentischwäsche, den empfindlichen teuren Blumen, mit allem, womit wir hier im Château unsere Gäste umgeben. Das lag an ihrer Herkunft. Sie war Luxus nicht gewohnt. Viele Menschen merken ja kaum noch, wie privilegiert sie leben.«
»Gab es je Beschwerden über Diebstähle?«
»Nein. In unserem Hause gab es nie einen Diebstahl. Unsere Gäste können uns vertrauen.«
Ugo reagierte empfindlich auf Angriffe auf das Hotel, stellte sie erneut fest. Er sprach dann immer von »unser Haus«. Wen meinte er wohl damit? Sah sich Ugo auf einer Ebene mit den Besitzern?
Während Ugo einschenkte, blitzte erneut das Gesicht von Nicolas, ihrem Ausbilder, vor Zadiras geistigem Auge auf. »Die Brillanz eines Ermittlers liegt nicht in seiner Klugheit, Logik oder Wissen. Sondern darin, ob und inwieweit er dazu fähig ist, seine Eitelkeit herunterzufahren. Eitelkeit macht dich schwach, Zadira. Es ist besser, wenn man dich für dümmer hält, als du bist. Lass dich unterschätzen, und du wirst gewinnen.«
Als sie anstießen, bedachte André Ugo sie mit einem tiefen Blick.
Flirtet der etwa mit mir?
Sofort sprang ihr innerer Misstrauensseismograph an.
»Gibt es jemanden vom Personal, der mit Julie Schwierigkeiten hatte?«
Mit einer um eine Nuance tiefer klingenden Stimme antwortete er: »Dafür gab es keinen Grund, Lieutenant.«
»Und wenn sich jemand der Gäste eingebildet hätte, Julie machte ihm ein Angebot – was dann?«
Ugos Augen verengten sich. »Sie glauben, ein Gast hat sich an ihr gerächt, weil sie sich ihm verweigert hat? Aber wieso dann in dem Haus in der Altstadt?«
»Kennen Sie übrigens die Besitzer?«
Er überlegte, schüttelte dann den Kopf. »Tut mir leid, aber ich kenne mich in Mazan nicht sehr gut aus. Ich bin entweder im Hotel oder in meinem Haus in Bédoin«, sagte er.
»Bédoin?«, log Zadira. »Wo ist das?« Sie war erst vergangenen Samstag nach ihrem kombinierten Bade-Kiff-Ausflug dort gewesen, in dem Winzerdorf am Fuß des Mont Ventoux, dessen Silhouette von einer trutzigen, wuchtigen Kirche dominiert wurde. Dort, in Bédoin, war das zweite Opfer der Mordserie gefunden worden, an die bislang offensichtlich nur sie und die Reporterin von Le Dauphiné glaubte. Zadira erinnerte sich an die Akten-Bilder der achtzehnjährigen Margot, die wie ein X zwischen zwei Olivenbäumen gefesselt gewesen war, erstickt mit einer Plastiktüte. In Bédoin waren zeitgleich außerdem mehrere Katzen gefunden worden, an Haustüren genagelt, das hatte ihr die Küsterin erzählt. Eine Verbindung aber hatte bisher niemand hergestellt.
Zadira nahm sich vor, herauszufinden, ob dieser brutale Akt einen Symbolwert besaß. Manche Verbrecherkartelle bedienten sich solch einer »Zeichensprache«. Aber auch Serienmörder waren häufig Tierquäler.
Ugo berichtete inzwischen, wie er aufgrund einer Stellenanzeige von Avignon hierhergekommen war und sich in Bédoin in ein altes, baufälliges mas, eine Bauernkate, verliebt hatte.
Zadira hatte sich entschlossen, es nun bei ihm auf die liebliche Tour zu versuchen. Sie brauchte seine Hilfe.
»Monsieur Ugo, ich muss Sie um etwas bitten, was Ihnen nicht gefallen wird«, begann sie. »Ich bräuchte …«
»Ich weiß, was Sie fragen wollen, Madame Lieutenant. Aber ich kann Ihnen unsere Gästeliste selbstverständlich nicht aushändigen. Auch wenn es für Ihre Arbeit und die Ermittlungen hilfreich wäre.«
Was kam jetzt? Die üblichen Beteuerungen, dass seine Gäste niemals fähig wären … Ja, ja. Die meisten Menschen wollten einfach nicht wahrhaben, dass es mitten unter ihnen immer wieder Frauen und Männer gab, die Gesetze
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