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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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vor über fünfzehn Jahren in Rente gegangen war. Unverheiratet hatte sie einen Großteil ihres Lebens an derselben Adresse wie Benito Morandi gelebt. Auf ihrem Konto, immer bei derselben Bank, gab es keine auffälligen Bewegungen: bescheidene Einzahlungen, ebensolche Abhebungen. Sie war nie als Patientin im Krankenhaus gewesen und nie mit der Polizei in Konflikt geraten. Mehr war nicht zu erfahren: keine Freuden, keine Sorgen, keine Träume, keine Enttäuschungen. Jahrzehntelang gearbeitet, Ruhestand und eine Rente, und jetzt ein Zimmer in einer privaten casa di cura, finanziert von ihrer Rente und dem Beitrag ihres Gefährten.
    Beigelegt war eine Fotokopie ihrer carta d’identità, Brunetti erkannte die Frau mit den weichen Zügen auf dem Passfoto [228]  kaum wieder: Das sollte die Vorläuferin der Frau mit dem tief zerfurchten Gesicht sein, die er gesehen hatte? Am liebsten hätte er sie gewarnt, ihr die weise Prophezeiung der Älteren zugeflüstert: Unglück kommt.
    Nachdem er Vianello das nächste Blatt weitergegeben hatte, wandte Brunetti sich ihrem Lebensgefährten zu. Morandi hatte im Zweiten Weltkrieg gedient. Brunettis erster Gedanke war, Morandi habe sich das aus den Fingern gesogen, aber dann rechnete er nach und stellte fest, dass es knapp noch gehen könnte.
    Brunettis Vater hatte oft von dem Chaos erzählt, das in diesen furchtbaren Jahren geherrscht hatte, dass man gegen Kriegsende auch die jüngeren Jahrgänge in den Kampf hatte ziehen lassen. Laut Morandis Wehrpass war er allerdings in Abessinien, Albanien und zuletzt in Griechenland zum Einsatz gekommen, wo er verwundet wurde; danach schickte man ihn in die Heimat und ins bürgerliche Leben zurück.
    »No, eh?«, hörte Brunetti sich sagen. Vianello sah erschrocken zu ihm hin. Wenn das Geburtsdatum in diesen Akten stimmte, wäre Morandi als Zwölfjähriger nach Griechenland gegangen, und bei der Kapitulation Italiens wäre er keine sechzehn gewesen. Bei aller Liebe: Auch wenn es seinen Eltern noch so wichtig war, ihren Sohn »Benito« zu nennen - als Kind konnte er schlecht für den anderen Benito in den Krieg ziehen.
    Einige Jahre nach Morandis Rückkehr - oder jedenfalls nachdem sein Kriegsdienst Eingang in die Akten gefunden hatte - bekam er einen Job im Hafen von Venedig und blieb dort gut zehn Jahre als »Arbeiter«, wie es wenig aussagekräftig [229]  hieß. Brunetti las, dass er ohne nähere Begründung entlassen worden war.
    Ein paar Jahre später begann er als Reinigungskraft im Ospedale Civile. Brunetti griff nach den Papieren, die Vianello auf seinen Schreibtisch gelegt hatte; Signora Sartori war zu dem Zeitpunkt bereits im Ospedale angestellt gewesen.
    Morandi hatte zwei weitere Jahrzehnte lang als portiere und Reinigungskraft gearbeitet und war vor zwanzig Jahren mit einer winzigen Rente aus dem Dienst geschieden.
    Brunetti erkannte das Siegel des Justizministeriums auf den nächsten drei Bögen; hier waren Morandis Beziehungen zu den Ordnungskräften aufgelistet, für die er kein Fremder war. Zum ersten Mal wurde er mit Anfang dreißig festgenommen, weil er geschmuggelte Zigaretten an Tabakläden auf dem Festland verkauft haben sollte. Fünf Jahre später die nächste Verhaftung; diesmal hatte er Sachen verkauft, die von Schiffen im Hafen gestohlen worden waren, und bekam ein Jahr Gefängnis auf Bewährung. Sieben Jahre danach wurde er festgenommen, nachdem er einen Kollegen bei der Arbeit angegriffen und schwer verletzt hatte. Die Anklage wurde fallengelassen, weil das Opfer die Aussage verweigerte. Weitere Festnahmen folgten: Widerstand gegen die Staatsgewalt, Weitergabe von Diebesgut an einen Hehler in Mestre. Bei der Beweisaufnahme in letzterem Fall hatten sich irgendwelche Unstimmigkeiten in den Akten ergeben, und nach fünf Jahren wurde das Verfahren eingestellt, Signor Morandi aber schien in der Zwischenzeit unter die Engel gegangen zu sein: Seit er im Krankenhaus angefangen hatte, war er nie mehr festgenommen worden.
    [230]  Auf den letzten Blättern ging es um Signor Morandis Finanzen. Um die Zeit, als er in Rente gegangen war, hatte Morandi, ohne eine Hypothek aufzunehmen, eine Wohnung in San Marco gekauft. Eine Notiz in Signorina Elettras Handschrift informierte Brunetti, dass Morandi und Signora Sartori kurz darauf in diese Wohnung umgezogen waren; jedenfalls hatten beide binnen weniger Monate ihren Wohnsitz unter dieser Adresse angemeldet.
    Die Bewegungen auf seinem Konto, das von dem Wohnungskauf völlig unberührt

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