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Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Titel: Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Begeisterung. Er bedauerte zutiefst, seinen Fotoapparat nicht mitgenommen zu haben.
    Plötzlich zog ein leiser, anhaltender Ton seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war eine Art Vibration, die genau aus dem Innern der Fabrik zu kommen schien. Was ist denn hier drinnen noch in Betrieb? fragte er sich argwöhnisch.
    Sicherheitshalber ging er hinaus, zum Auto zurück, öffnete das Handschuhfach und zog seine Waffe heraus. Die Pistole trug er fast nie bei sich. Das Gewicht der Waffe störte ihn, zudem verformte sie ihm Jacken und Hosen. Er ging in die Fabrik zurück, der Ton war immer noch zu hören. Vorsichtig bewegte er sich auf die dem Eingang gegenüberliegende Seite zu. Die Zeichnung, die Saro ihm angefertigt hatte, war äußerst präzise und diente ihm als Orientierung. Der Ton ähnelte dem Summen, das Hochspannungsdrähte manchmal von sich geben, wenn Feuchtigkeit sie befällt. Nur klang dieser hier immer wieder anders, irgendwie melodisch, zuweilen brach er ab, um nach einer kurzen Pause in einer anderen Tonart neu zu beginnen.
    Montalbano tastete sich angespannt vorwärts, achtete sorgfältig darauf, nicht über die Steine und Trümmer zu stolpern, die in dem engen Korridor zwischen den beiden Mauern den Boden bedeckten. Plötzlich sah er im Augenwinkel durch einen Durchgang einen Mann, der sich parallel zu ihm im Innern der Fabrik bewegte. Er trat zurück, überzeugt davon, daß der andere ihn bereits gesehen hatte. Da galt es keine Zeit zu verlieren, sicherlich hatte der Mann Komplizen. Er tat einen großen Schritt nach vorne, die Waffe im Anschlag, und schrie: »Stehenbleiben! Polizei!«
    Im Bruchteil einer Sekunde begriff er, daß der andere auf seinen Zug gefaßt gewesen war. Er stand halb nach vorne gebeugt, die Pistole in der Hand. Montalbano schoß, während er sich auf die Erde warf. Bevor er den Boden berührte, gab er zwei weitere Schüsse ab. Statt zu hören, womit er gerechnet hatte, nämlich einen Schuß, einen Aufschrei oder hastig davoneilende Schritte, vernahm er einen lauten Knall und dann das Klirren einer zerbrechenden Glasscheibe. Schlagartig verstand er und wurde von einem derart heftigen Lachanfall gepackt, daß er es nicht schaffte, sich aufzurichten. Er hatte auf sich selbst geschossen, auf sein Spiegelbild in einer Glaswand.
    Das darf ich keiner Menschenseele erzählen, sagte er sich, sie würden auf der Stelle meinen Rücktritt fordern und mich mit einem Tritt in den Hintern rausschmeißen.
    Die Waffe, die er in der Hand hielt, erschien ihm plötzlich lächerlich. Er steckte sie hinter den Gürtel seiner Hose. Die Schüsse, ihr endloses Echo, der Knall und das Zerbrechen der Glasscheibe hatten den Ton vollkommen überdeckt. Jetzt war er wieder da, vielfältiger als zuvor. Da verstand er. Es war der Wind, der tagsüber, auch im Sommer, über diesen Teil des Strandes wehte. Am Abend dagegen flaute er ab, fast als wolle er Gegès Geschäfte nicht stören. Er strich über die Eisengerüste, über die teils gerissenen, teils noch stramm gespannten Drähte, über die stellenweise durchbrochenen Schornsteine, die mit ihren Löchern an riesige Hirtenflöten erinnerten. Der Wind sang sein Klagelied in der toten Fabrik. Der Commissario blieb verzaubert stehen und lauschte.
    Um an den Fundort der Kette zu gelangen, brauchte er fast einen halbe Stunde. Manchmal mußte er über Schutthaufen klettern. Schließlich befand er sich genau auf Höhe der Stelle, an der Saro, jenseits der Mauer, das Schmuckstück gefunden hatte. Er begann sich in aller Ruhe umzusehen. Zeitungen und von der Sonne vergilbte Papierfetzen, Gräser, Coca-Cola-Flaschen (Dosen waren zu leicht, als daß man sie über die hohe Mauer hätte werfen können), Weinflaschen, eine durchgerostete Schubkarre, einige Autoreifen, Eisenstücke, ein undefinierbarer Gegenstand, ein morscher Balken. Und neben dem Balken eine Umhängetasche, elegant, nagelneu, exklusive Marke. Sie wirkte fehl am Platz, ein einziger Widerspruch zu all dem Verfall, der sie umgab. Montalbano öffnete sie. Darin befanden sich zwei recht große Steine, die offenbar als Gewichte hineingelegt worden waren, um die Tasche von außen über die Mauer schleudern zu können. Sonst nichts. Der Commissario betrachtete die Tasche genauer. Die metallenen Initialen der Besitzerin waren herausgerissen worden, aber auf dem Leder war der Abdruck noch erkennbar, ein I und ein S: Ingrid Sjostrom.
    Man serviert sie mir auf dem silbernen Tablett, dachte Montalbano mißtrauisch.

Zehn
    Der

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