Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
Gedanke kam ihm, als er bei einer großzügigen Portion gegrillter Peperoni, die Adelina ihm in den Kühlschrank gestellt hatte, wieder Kräfte sammelte: Warum sollte er nicht annehmen, was man ihm netterweise auf dem silbernen Tablett serviert hatte, mit all den Überraschungen, die das Menü vielleicht bereithielt? Er suchte im Telefonbuch die Nummer von Giacomo Cardamone heraus. Es war die richtige Uhrzeit, um die Schwedin daheim anzutreffen. »Wer da sprechen?«
»Ich bin Giovanni. Ist Ingrid da?«
»Ich gehen nachsehen, du warten.«
Er versuchte herauszuhören, aus welchem Teil der Welt es diese Bedienstete wohl ins Haus Cardamone verschlagen hatte, aber er kam zu keinem Ergebnis. »Ciao, du geiler Bock, wie geht's dir?«
Die Stimme war leise und heiser, ganz wie es der Beschreibung entsprach, die Zito ihm gegeben hatte, hatte aber keinerlei erotische Wirkung auf den Commissario.
Im Gegenteil, sie beunruhigte ihn. Unter allen Namen auf der Welt hatte er ausgerechnet den eines Mannes gewählt, dessen Anatomie Ingrid offenbar kannte. »Bist du noch da? Bist du etwa im Stehen eingeschlafen? Wie lang hast'n gevögelt heute nacht, du Wüstling?«
»Hören Sie, Signora…«
Ingrid reagierte blitzschnell, es war eine Feststellung, ohne einen Hauch von Verwunderung oder Empörung: »Du bist nicht Giovanni.«
»Nein.«
»Wer bist du dann?«
»Ich bin Polizeikommissar, mein Name ist Montalbano.«
Er erwartete eine ängstliche Frage, wurde aber sogleich enttäuscht.
»Oh, wie schön! Ein Polizist! Und was willst du von mir?«
Sie war beim Du geblieben, obwohl sie wußte, daß sie mit einer ihr unbekannten Person sprach. Montalbano entschied für seinen Teil, sie weiterhin mit Sie anzusprechen.
»Ich würde gerne ein paar Worte mit Ihnen wechseln.«
»Heute nachmittag kann ich wirklich nicht, aber heute abend bin ich frei.«
»In Ordnung, heute abend paßt mir gut.«
»Wo? Soll ich in dein Büro kommen? Sag mir, wo das ist.«
»Besser nicht, ich würde einen diskreteren Ort vorziehen.«
Ingrid hielt inne.
»Dein Schlafzimmer?«
Die Stimme der Frau klang nun etwas irritiert; offensichtlich hegte sie allmählich den Verdacht, daß am anderen Ende der Leitung irgendein Idiot hing, der einen Annäherungsversuch unternahm. »Hören Sie, Signora, ich kann verstehen, daß Sie mißtrauisch sind. Zu Recht übrigens. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: In einer Stunde bin ich im Kommissariat von Vigàta. Dort können Sie anrufen und nach mir verlangen. In Ordnung?«
Die Frau antwortete nicht gleich. Sie überlegte, dann faßte sie einen Entschluß.
»Ich glaube dir, Polizist. Wo und um wieviel Uhr?« Sie einigten sich auf einen Treffpunkt: die Bar von Marinella, die zur vereinbarten Stunde, um zehn Uhr abends, für gewöhnlich menschenleer war. Montalbano bat sie, mit niemandem darüber zu sprechen, nicht einmal mit ihrem Gatten.
Wenn man vom Meer her kam, erhob sich die Villa der Luparellos gleich am Ortseingang von Montelusa. Es war ein massives Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert, umgeben von einer hohen Mauer mit einem schmiedeeisernen Tor, das sperrangelweit geöffnet war.
Montalbano ging die Allee hinauf, die mitten durch den Park führte. Die Haustür stand halb offen. Eine große schwarze Schleife hing an einem der Türflügel. Er beugte sich leicht nach vorne, um hineinzusehen. In einem großen Innenhof hatten sich etwa zwanzig Personen versammelt, Männer und Frauen mit einem dem Anlaß entsprechenden Gesichtsausdruck, die sich flüsternd unterhielten. Es erschien ihm unpassend, einfach zwischen den Leuten hindurchzugehen. Jemand könnte ihn erkennen und sich fragen, was er an diesem Ort zu suchen habe. Also umrundete er die Villa, bis er schließlich einen Hintereingang fand. Er war abgesperrt, Montalbano klingelte mehrmals, ehe schließlich jemand kam, um ihm zu öffnen.
»Sie sind verkehrt hier. Für Beileidsbesuche bitte durch den Haupteingang«, sagte ein aufgewecktes kleines Dienstmädchen mit schwarzer Schürze und Häubchen. Es hatte ihn sofort als nicht zur Gattung der Lieferanten gehörend eingestuft.
»Ich bin Commissario Montalbano. Würden Sie bitte jemandem aus der Familie mitteilen, daß ich hier bin?«
»Sie werden erwartet, Signor Commissario.«
Das Dienstmädchen führte ihn durch einen langen Korridor, öffnete eine Tür und bedeutete ihm mit einer Handbewegung einzutreten. Montalbano fand sich in einer großen Bibliothek wieder, Tausende von Büchern standen
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