Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
Ich war monatelang weg.«
»Aber ich weiß es«, sagte das Dienstmädchen. »Der junge Herr hatte sich bei einem Autounfall verletzt. Die Halskrause hat man ihm erst vor einer knappen Woche abgenommen.«
»Wenn er wieder zu sich kommt und klar denken kann«, sagte Montalbano zu Stefane, »Sagen Sie ihm doch bitte, daß er morgen früh gegen zehn Uhr bei mir im Büro in Vigàta vorbeikommen soll.«
Er kehrte zur Bank zurück, nahm das Couvert und die Fotos vom Boden auf, von denen Stefano nichts bemerkt hatte, und steckte sie ein.
Von der Kurve von Sanfilippo war das Capo Massaria etwa hundert Meter entfernt. Aber der Commissario konnte das Haus nicht sehen, das direkt an der Spitze der Felsküste stehen mußte, zumindest den Angaben der Signora Luparello zufolge. Er ließ den Motor wieder an und fuhr im Schrittempo weiter. Als er genau auf der Höhe der Spitze war, bemerkte er inmitten von dichten und niederen Bäumen einen schmalen Feldweg, der von der Landstraße abging. Er bog in den Weg ein und stieß kurz darauf auf ein verschlossenes Eisentor, die einzige Öffnung in einer Trockenmauer, die den Teil der Felsspitze, der über das Meer hinausragte, völlig abriegelte. Die Schlüssel paßten. Montalbano ließ den Wagen vor dem Tor stehen und ging einen Gartenweg aus Tuffstein entlang. Am Ende stieg er eine kleine Treppe hinab, ebenfalls aus Tuff, die auf einer Art Podest endete, von dem aus sich die Haustür öffnete. Von oben war das Haus nicht zu sehen, da es einem Adlerhorst ähnlich angelegt war, wie manche Berghütten, die in den Fels gebaut sind.
Er fand sich in einem großen Salon mit Blick aufs Meer wieder, der sozusagen über dem Wasser schwebte. Der Eindruck, man befände sich auf einem Schiffsdeck, wurde noch verstärkt durch das Panoramafenster, das die ganze Wand einnahm. Es herrschte eine musterhafte Ordnung. In einer Ecke stand ein Eßtisch mit vier Stühlen. Ein Sofa und zwei Sessel waren zum Fenster ausgerichtet. Es gab eine Anrichte aus dem neunzehnten Jahrhundert, die mit Gläsern, Tellern, Weinflaschen und Spirituosen angefüllt war, und einen Fernseher mit Videorecorder. Aneinandergereiht auf dem niedrigen Tischchen lagen Videokassetten, vornehmlich Pornofilme. Vom Salon gingen drei Türen ab. Die erste führte in eine kleine Küche, die vor Sauberkeit blitzte. Die Hängeschränke waren randvoll mit Lebensmitteln gefüllt, der Kühlschrank hingegen war halbleer, abgesehen von einigen Flaschen Champagner und Wodka. Das eher geräumige Bad roch nach Lysoform. Auf der Ablage unter dem Spiegel standen ein elektrischer Rasierapparat, Deodorants, ein Flakon Kölnisch Wasser. Im Schlafzimmer, dessen großes Fenster ebenfalls aufs Meer ging, war das Doppelbett mit aufwendig bestickten Überwürfen zugedeckt. Daneben standen zwei Nachttischchen, eins mit Telefon, und ein dreitüriger Schrank. An der Wand über dem Kopfende des Bettes hing eine sinnliche Aktzeichnung von Emilio Greco. Montalbano öffnete die Schublade des Nachttischchens, auf dem das Telefon stand. Das war bestimmt die Seite, auf der gewöhnlich der Ingenieur gelegen hatte. Drei Präservative, ein Kugelschreiber, ein Notizblock mit weißen, unbeschriebenen Seiten. Er fuhr zusammen, als er die Pistole entdeckte, eine Siebenfünfundsechziger, ganz hinten in der Schublade. Sie war geladen. Das Schubfach des anderen Nachttischchens war leer. Er öffnete die linke Schranktür und sah zwei Anzüge an einer Stange hängen. Im Fach darüber lagen ein Hemd, drei Unterhosen, Taschentücher und ein Unterhemd. Er überprüfte die Slips. Die Signora hatte recht, das Etikett war innen an der Rückseite angebracht. In der unteren Schublade ein Paar Mokassins und Pantoffeln. Ein Spiegel bedeckte die gesamte mittlere Schranktür und spiegelte das Bett wider. Dieser Schrankteil war in drei Fächer unterteilt, das obere und das mittlere enthielten, völlig durcheinander, Hüte, italienische und ausländische Zeitschriften, unter dem gemeinsamen Nenner der Pornographie vereint, einen Vibrator, Bettücher und Kopfkissenbezüge zum Wechseln. Im unteren Fach befanden sich drei Frauenperücken, die über eigens dazu bestimmten Ständern hingen, und zwar eine braune, eine blonde und eine rote. Vielleicht waren sie Requisiten der erotischen Spiele des ehrenwerten Ingenieurs. Die große Überraschung erwartete den Commissario jedoch, als er die rechte Schranktür aufschlug: An der Stange hingen zwei elegante Damenkleider, und in dem darüberliegenden Fach
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