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Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Titel: Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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dir ein starkes Schlafmittel verschreiben und leg dich ins Bett.«
    Ohne ein Wort zu verlieren, stand Giorgio geschmeidig auf, schwebte mit den ihm eigenen tänzelnden Bewegungen zur Tür und entschwand. »Sie müssen ihn entschuldigen«, sagte die Signora, »Giorgio ist zweifelsohne derjenige, der unter dem Tod meines Mannes am meisten gelitten hat und leidet. Sehen Sie, ich habe mir gewünscht, daß mein Sohn studiert und sich eine von seinem Vater unabhängige Position fern von Sizilien erarbeitet. Die Gründe werden Sie vielleicht erahnen. Folglich hat mein Mann seine ganze Zuneigung nicht Stefano, sondern meinem Neffen angedeihen lassen. Und dieser hat seine Liebe bis hin zur Vergötterung erwidert, er ist sogar zu uns gezogen, zum großen Bedauern meiner Schwester und ihres Mannes, die sich dadurch zurückgesetzt fühlten.«
    Sie erhob sich, und Montalbano tat es ihr gleich. »Ich habe Ihnen alles gesagt, Commissario, was ich glaubte, Ihnen sagen zu müssen. Ich weiß, daß ich es mit einem ehrlichen Menschen zu tun habe. Wenn Sie es für angemessen halten, geben Sie mir Bescheid, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Haben Sie keine Skrupel, mir die Wahrheit zu sagen, ich bin das, was man gemeinhin eine starke Frau nennt. Handeln Sie in jedem Fall nach bestem Gewissen.«
    »Eine Frage, Signora, die mich seit einiger Zeit beschäftigt. Warum haben Sie niemandem Bescheid gegeben, daß Ihr Mann seinerzeit nicht heimgekommen ist… oder anders gefragt: War die Tatsache, daß Ihr Mann in jener Nacht nicht nach Hause kam, nicht besorgniserregend? Ist das vorher schon einmal vorgekommen?«
    »Ja, das ist vorgekommen. Aber sehen Sie, am Sonntag abend hat er mich ja angerufen.«
    »Von wo aus?«
    »Das weiß ich nicht. Er sagte mir, es würde sehr spät werden. Er habe eine wichtige Sitzung, und es sei gut möglich, daß er die ganze Nacht auswärts verbringen müsse.«
    Sie reichte ihm die Hand, und der Commissario, ohne eigentlich zu wissen, warum, nahm sie und küßte sie sacht.
    Kaum hatte er die Villa wieder durch den Hintereingang verlassen, erblickte er Giorgio, der gekrümmt und von Krämpfen geschüttelt auf einem nahen Steinbänkchen saß.
    Montalbano näherte sich besorgt und sah, wie die Hände des jungen Mannes sich öffneten, ein gelber Umschlag zu Boden fiel und Fotos sich über den Boden verstreuten. Offenbar hatte Giorgio, von katzenhafter Neugier getrieben, das Couvert an sich genommen, während er zusammengekauert neben der Tante hockte. »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »So doch nicht, o mein Gott, so doch nicht!«
    Giorgio sprach mit erstickter Stimme, die Augen gläsern, er hatte die Anwesenheit des Commissario nicht einmal bemerkt. Ein Augenblick nur, und er wurde starr und fiel hintenüber von der Bank. Montalbano kniete sich neben ihn und versuchte den von Krämpfen geschüttelten Körper bestmöglich festzuhalten. Weißer Schaum trat dem Jungen vor den Mund. Stefano Luparello erschien in der Haustür. Er schaute sich um, bemerkte die Szene und stürzte herbei. »Ich bin Ihnen nachgeeilt, um Sie zu verabschieden. Was ist los?«
    »Ein epileptischer Anfall, nehme ich an.«
    Sie versuchten zu verhindern, daß Giorgio sich mit den Zähnen auf die Zunge biß und mit dem Kopf aufschlug. Dann beruhigte sich der junge Mann und zuckte nur noch kraftlos.
    »Helfen Sie mir bitte, ihn hineinzutragen«, bat Stefano. Das Hausmädchen, dasselbe, das dem Commissario die Tür geöffnet hatte, kam auf den ersten Ruf des jungen Ingenieurs hin herbeigeeilt.
    »Ich möchte nicht, daß Mama ihn in diesem Zustand sieht.«
    »Zu mir«, sagte das Dienstmädchen. Sie zwängten sich mühsam einen anderen Korridor entlang als den, durch den der Commissario zuvor gegangen war. Montalbano hielt Giorgio unter den Achselhöhlen, Stefano faßte ihn an den Füßen. Als sie im Flügel des Dienstpersonals ankamen, öffnete das Mädchen eine Tür. Keuchend legten sie den jungen Mann aufs Bett. Giorgio schien in einen bleiernen Schlaf gesunken zu sein.
    »Helft mir, ihn auszukleiden«, sagte Stefano. Erst als der junge Mann in Boxershorts und Unterhemd dalag, fiel Montalbano auf, daß die Haut vom Halsansatz bis unter das Kinn von einem alabasternen Weiß war und einen scharfen Kontrast zu dem sonnengebräunten Gesicht und der ebenfalls braunen Brust bildete. »Wissen Sie, warum er hier nicht gebräunt ist?« fragte er den Ingenieur.
    »Keine Ahnung«, entgegnete dieser. »Ich bin erst am Montag nachmittag nach Montelusa zurückgekommen.

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