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Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Titel: Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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der Commissario, völlig verwirrt angesichts dieser scharfsichtigen und unerbittlichen Analyse, ohne eine einzige Träne vorgetragen, als handle es sich bei dem Toten um einen flüchtigen Bekannten. »Daß er nackt war, als sie ihn überrumpelten und zwangen, sich in Eile anzukleiden. Und nackt kann er nur in seinem Haus am Capo Massaria gewesen sein. Eben deswegen habe ich Ihnen die Schlüssel gegeben. Ich möchte es nochmals wiederholen: Es ist eine kriminelle Tat, die das Ansehen meines Mannes zerstören sollte, aber nur halb gelungen ist. Um ihn jederzeit den Schweinen zum Fraß vorwerfen zu können, wollten sie auch aus ihm ein Schwein machen. Wäre er nicht gestorben, wäre es natürlich besser gewesen. Unter seinem erzwungenen Schutz hätten sie treiben können, was sie wollen. Zum Teil ist der Plan jedoch gelungen: Alle Leute meines Mannes sind von der neuen Parteiführung ausgeschlossen worden. Nur Rizzo konnte sich retten, ja, er hat dadurch sogar noch gewonnen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Das aufzudecken liegt bei Ihnen, sollten Sie Lust dazu verspüren. Oder Sie belassen es bei der Form, die man dem Wasser gegeben hat.«
    »Entschuldigen Sie bitte, das habe ich nicht verstanden.«
    »Ich bin keine Sizilianerin, ich stamme aus Grosseto. Ich bin nach Montelusa gekommen, als mein Vater hier Präfekt war. Wir besaßen ein wenig Land und ein Haus an den Hängen des Monte Amiata. Dort verbrachten wir die Ferien. Ich hatte einen Freund, der Sohn eines Bauern, jünger als ich. Damals war ich etwa zehn Jahre alt. Eines Tages sah ich, daß mein Freund ein Schüsselchen, eine Tasse, eine Teekanne und eine quadratische Blechdose auf einen Brunnenrand gestellt hatte, alle Gefäße randvoll mit Wasser gefüllt, und sie aufmerksam betrachtete.
    ›Was machst du da?‹ fragte ich ihn. Und er antwortete mir mit einer Gegenfrage.
    »Welche Form hat Wasser?‹ »Aber Wasser hat doch gar keine Form!‹ prustete ich lachend heraus: ›Es nimmt die Form an, die man ihm gibt.‹«
    In diesem Moment ging die Tür auf, und ein Engel erschien.

Elf
    Der Engel, eine andere Bezeichnung wäre Montalbano im ersten Augenblick nicht eingefallen, war ein Jüngling von ungefähr zwanzig Jahren. Groß, blond, braungebrannt, mit einem makellosen Körper und ephebenhafter Aura. Ein Sonnenstrahl umschmeichelte ihn, tauchte ihn auf der Schwelle in ein Licht, das die apollinischen Gesichtszüge unterstrich. »Darf ich hereinkommen, Tante?«
    »Komm nur, Giorgio, komm!«
    Der junge Mann ging auf das Sofa zu, schwerelos, als glitten seine Füße über das Parkett, ohne den Boden zu berühren. Tänzelnd und augenscheinlich ziellos schwebte er durch den Raum, berührte dabei die Gegenstände, die in seine Reichweite kamen, ja, es war mehr als eine Berührung, es war ein zärtliches Liebkosen. Montalbano fing einen Blick der Signora auf, mit dem sie ihn gemahnte, die Fotografien, die er in Händen hielt, in die Tasche zu stecken. Er gehorchte, und die Witwe schob die anderen Aufnahmen rasch in das gelbe Couvert, das sie neben sich auf das Sofa legte. Als der junge Mann neben ihm stand, bemerkte der Commissario die rotgeäderten blauen Augen, vom Weinen verquollen und von dunklen Ringen umschattet. »Wie fühlst du dich, Tante?« fragte er mit melodischer Stimme, während er sich anmutig neben der Frau niederkniete und seinen Kopf in ihren Schoß legte. Montalbano mußte unweigerlich an ein Gemälde denken, das er einmal gesehen hatte, er wußte nicht mehr, wo. Grell erleuchtet, wie von einem Scheinwerfer angestrahlt, sah er es plötzlich vor sich. Das Portrait einer englischen Edeldame, mit einem Windhund in derselben Haltung, wie der junge Mann sie eben eingenommen hatte. »Das ist Giorgio«, erklärte die Signora. »Giorgio Zicari, der Sohn meiner Schwester Elisa, die mit Ernesto Zicari, dem Strafrechtler, verheiratet ist. Vielleicht kennen Sie ihn.«
    Während sie sprach, streichelte die Signora ihm über das Haar. Giorgio ließ durch keine Regung erahnen, ob er die Worte vernommen hatte. Offenkundig in seinem bohrenden Schmerz gefangen, wandte er sich noch nicht einmal in die Richtung des Commissario. Im übrigen hatte sich die Signora wohl gehütet, ihrem Neffen zu sagen, wer Montalbano war und was er in diesem Haus zu suchen hatte. »Hast du ein wenig schlafen können heute nacht?«
    Als Antwort schüttelte Giorgio verneinend den Kopf. »Dann gebe ich dir jetzt folgenden Rat. Hast du Dottor Capuano draußen im Hof gesehen? Geh zu ihm, laß

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