Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
würde ich bis morgen früh hier liegen bleiben.«
»Wir haben noch eine Menge zu tun. Zieh dich an. Kannst du Auto fahren?«
Vierzehn
Ingrids flaches rotes Auto stand immer noch auf dem Parkplatz an der Bar Marinella. Es war viel zu auffällig, um gestohlen zu werden. Es fuhren nicht viele Wagen dieses Typs herum, in Montelusa und der übrigen Provinz.
»Nimm dein Auto, und fahr hinter mir her«, sagte Montalbano. »Wir fahren zurück ans Capo Massaria.«
»Um Gottes willen! Wozu denn?«
Ingrid machte ein mißmutiges Gesicht. Sie hatte nicht die geringste Lust dazu, und der Commissario hatte volles Verständnis dafür.
»In deinem eigenen Interesse.«
Im Scheinwerferlicht, das er sofort ausschaltete, bemerkte der Commissario, daß das Tor der Villa offenstand. Er stieg aus und ging zu Ingrids Wagen. »Warte hier auf mich. Mach die Scheinwerfer aus. Erinnerst du dich, ob wir beim Weggehen das Tor zugemacht haben?«
»Ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube schon.«
»Wende schon mal den Wagen, aber mach so wenig Lärm wie möglich.«
Ingrid gehorchte. Die Schnauze des Autos wies jetzt zur Landstraße.
»Hör mir gut zu. Ich gehe da runter, und du bleibst hier und spitzt die Ohren. Wenn du mich rufen hörst oder dir irgend etwas auffällt, was dir eigenartig erscheint, überleg nicht lange, sondern fahr sofort nach Hause.«
»Glaubst du, daß jemand da drin ist?«
»Keine Ahnung. Wie dem auch sei, du tust, was ich dir gesagt habe.«
Er holte die Umhängetasche aus dem Wagen, nahm aber auch die Pistole mit. Dann ging er los, vorsichtig, um beim Auftreten kein Geräusch zu machen. Er stieg die Treppe hinunter, die Eingangstür öffnete sich diesmal ohne Lärm und Widerstand. Er trat über die Schwelle, die Pistole im Anschlag. Der Salon war vom Glitzern des Meeres mehr schlecht als recht erleuchtet. Mit dem Fuß stieß er die Badezimmertür, dann nacheinander alle anderen Türen auf. Er fühlte sich, bildlich gesprochen, wie der Held in einer dieser amerikanischen Fernsehserien. Im Haus war niemand, und es waren auch keine Spuren zu entdecken, die darauf hingedeutet hätten, daß jemand hier gewesen war. Er gelangte schließlich zu der Überzeugung, daß er selbst das Tor offen gelassen hatte.
Er öffnete die Glastür im Wohnzimmer und schaute hinaus. An dieser Stelle ragte das Kap wie der Bug eines Schiffes übers Meer hinaus. Dort unten mußte das Wasser recht tief sein. Er füllte die Umhängetasche mit Silberbesteck und einem schweren Kristallaschenbecher, schwang sie über seinem Kopf im Kreis herum und schleuderte sie nach draußen. Die würde man so leicht nicht wiederfinden. Dann holte er alles aus dem Schlafzimmerschrank, was Ingrid gehörte, trat hinaus und prüfte ganz genau nach, ob die Eingangstür auch richtig geschlossen war.
Kaum war er oben an der Treppe angelangt, als ihn die Scheinwerfer von Ingrids Wagen erfaßten. »Ich hab' dir doch gesagt, du sollst die Lichter auslassen. Und warum hast du das Auto wieder gewendet?«
»Falls es Schwierigkeiten gegeben hätte. Ich wollte dich nicht im Stich lassen.«
»Da sind deine Kleider.«
Sie nahm sie und legte sie auf den Beifahrersitz. »Und die Tasche?«
»Die hab' ich ins Meer geworfen. Du kannst nun nach Hause fahren. Sie haben jetzt nichts mehr gegen dich in der Hand.«
Ingrid stieg aus, ging auf Montalbano zu und umarmte ihn. Sie stand eine Weile so da, ihren Kopf an seine Brust gelegt. Dann, ohne ihn nochmals anzusehen, setzte sie sich ans Steuer, legte den Gang ein und fuhr los.
Direkt an der Einfahrt zur Brücke über den Canneto stand ein Auto, das beinahe die ganze Straße versperrte. Ein Mann stand daneben, die Ellbogen auf das Wagendach gestützt. Mit den Händen bedeckte er sich das Gesicht. Er wankte leicht.
»Probleme?« fragte Montalbano und trat aufs Bremspedal.
Der Mann drehte sich um, sein Gesicht war blutverschmiert. Das Blut rann aus einer breiten Verletzung mitten auf der Stirn. »So ein Arschloch!«
»Entschuldigung, ich habe nicht verstanden. Könnten Sie sich etwas deutlicher ausdrücken?«
Montalbano stieg aus seinem Wagen und näherte sich dem Mann. »Ich fuhr so fröhlich vor mich hin, und dieser Hurensohn überholt mich einfach. Fehlte nicht viel, und er hätte mich von der Straße gedrängt. Da bin ich stinksauer geworden und hinter ihm hergerast, habe gehupt und aufgeblendet. Daraufhin hat der plötzlich gebremst und sich dabei quer gestellt. Er ist ausgestiegen, hatte irgend etwas in der Hand,
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