Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Tote hatte seinen Ausweis in der Tasche: Gullo Pietro, zweiundvierzig Jahre, blaue Augen, blond, Gesichtsfarbe rosa, geboren in Merfi, wohnhaft in Fela, Via Matteotti 32, verheiratet, keine besonderen Kennzeichen.«
»Warum bewirbst du dich nicht beim Standesamt?«
Fazio überhörte die Provokation würdevoll und fuhr fort: »Ich bin nach Montelusa gefahren und habe im Archiv nachgesehen. Dieser Gullo hatte eine ganz normale Jugend, zwei Diebstähle, eine Schlägerei. Dann hat er sich am Riemen gerissen, zumindest scheint es so. Er handelte mit Getreide.«
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß ich gleich kommen konnte«, sagte Montalbano zum Preside, der ihm die Tür geöffnet hatte.
»Aber ich bitte Sie! Es ist mir eine große Freude.«
Er ließ ihn herein, führte ihn ins Wohnzimmer, bat ihn, Platz zu nehmen, und rief: »Angilina!«
Schon erschien – neugierig auf den unerwarteten Besuch eine kleine alte Dame, adrett, sehr gepflegt, dicke Brillengläser, hinter denen lebhafte, hellwache Augen blitzten.
Das Altersheim! ging es Montalbano durch den Kopf. »Ich möchte Ihnen meine Frau Angelina vorstellen.«
Montalbano verbeugte sich bewundernd, er mochte es, wenn ältere Frauen auch zu Hause auf ihr Äußeres achteten.
»Bitte verzeihen Sie, daß ich zur Abendessenszeit einfach hereinplatze.«
»Ach was! Apropos – haben Sie heute noch etwas vor?«
»Nein.«
»Dann bleiben Sie doch zum Essen. Es gibt etwas für alte Leute, wir müssen leicht essen: tinnirume und triglie di scoglio a oglio e limone.«
» Das klingt ja köstlich.« Die Signora verschwand strahlend. »Worum geht es denn?« fragte Preside Burgio. »Ich habe den Zeitpunkt des Doppelmordes vom Crasticeddru herausgefunden.«
»Ach, und wann war das?«
»Mit Sicherheit zwischen Anfang 1943 und Oktober desselben Jahres.«
»Wie sind Sie darauf gekommen?«
»Ganz einfach. Der Hund aus Terracotta wurde, wie Ragioniere Burruano schon sagte, nach Weihnachten 42 verkauft, also vermutlich nach dem Dreikönigstag. Die Münzen in der Schale wurden im Oktober des gleichen Jahres aus dem Verkehr gezogen.«
Er schwieg. »Und das kann nur eines heißen«, fügte er dann hinzu.
Aber er sagte nicht, was. Montalbano wartete geduldig, bis Burgio sich wieder gesammelt hatte, aufgestanden und ein paar Schritte durchs Zimmer gegangen war und dann selbst das Wort ergriff.
»Ich verstehe, Dottore. Sie wollen andeuten, daß die Grotte im Crasticeddru zur damaligen Zeit Rizzitano gehörte.«
»Genau. Schon damals – das weiß ich von Ihnen – war die Grotte mit dem Felsblock verschlossen, weil die Rizzitanos die Sachen darin lagerten, die sie auf dem Schwarzmarkt verkauften. Die Rizzitanos wußten ganz bestimmt von der anderen Grotte, der Grotte, in die man die Toten gelegt hatte.«
Der Preside sah ihn erstaunt an. »Wie meinen Sie das – ‚gelegt hatte’?«
»Weil sie woanders ermordet wurden, das steht fest.«
»Aber was macht das für einen Sinn? Warum soll sie jemand dort hingebracht und zurechtgelegt haben, als schliefen sie, mit dem Krug, der Schale mit dem Geld und dem Hund?«
»Das frage ich mich auch. Der einzige Mensch, der uns etwas darüber sagen kann, ist vielleicht Lillo Rizzitano, Ihr Freund.«
Signora Angelina kam herein. »Es ist angerichtet.«
Das tinnirume, Blüten und Blattspitzen des sizilianischen Kürbisses, der länglich und glatt ist und von einem Weiß mit einem kleinen Stich ins Grüne, war auf die Sekunde genau gegart und so zart, so köstlich, daß es Montalbano das Herz zusammenzog. Bei jedem Bissen hatte er das Gefühl, daß sein Magen spiegelblank geputzt wurde. Er mußte an einen Fakir denken, den er einmal im Fernsehen gesehen hatte; er hatte einen Streifen Stoff verschluckt und ihn dann komplett wieder herausgezogen.
»Und, wie finden Sie es?« erkundigte sich Signora Angelina. »Anmutig«, sagte Montalbano. Als die beiden ihn überrascht ansahen, wurde er rot und erklärte: »Verzeihen Sie, mir fehlen manchmal die richtigen Adjektive.«
Die triglie di scoglio, gedünstet und mit Öl, Zitrone und Petersilie angerichtet, waren genauso leicht wie das tinnirume. Erst beim Obst kam der Preside wieder auf die Frage zurück, die Montalbano ihm gestellt hatte, ließ sich jedoch vorher noch über das Thema Schule und die Schulreform aus, die der Minister der neuen Regierung durchführen wollte, wobei unter anderem das Gymnasium abgeschafft werden sollte.
»In Rußland«, sagte der Preside, »gab es zu Zeiten der Zaren
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