Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
die frühen Christen mit dormitio nicht den Tod? Es war sehr gut möglich, daß Rizzitano »sich in den Schlaf begeben« hatte, wie die Freimaurer sagten, daß er sich zurückgezogen hatte. Aber wenn die Dinge so standen, mußte man eine Möglichkeit finden, ihn aus dem tiefen Brunnen, in dem er sich versteckt hatte, hervorzulocken. Dazu brauchte es jedoch etwas Aufsehenerregendes, etwas, das viel Staub aufwirbelte, worüber die Zeitungen, das Fernsehen in ganz Italien berichteten. Er mußte richtig auf die Pauke hauen. Aber wie? Man mußte die Logik aus dem Spiel und der Phantasie freien Lauf lassen.
Es war erst elf, zu früh, um schlafen zu gehen. Er legte sich angezogen aufs Bett und las Wendemarke.
»Gegen Mitte der vergangenen Nacht wurde die Suche nach der Leiche Roger Shumanns, des Rennfliegers, der am Samstagnachmittag in den See stürzte, endgültig von einem dreisitzigen Doppeldecker von ungefähr achtzig Pferdekräften aufgegeben, dem es gelang, auf den See hinauszufliegen und zurückzukehren, ohne dabei auseinanderzufallen, und einen Blumenkranz ungefähr eine dreiviertel Meile von der Stelle entfernt abzuwerfen, an der nach allgemeiner Annahme Shumann liegt...»
Bis zum Ende des Romans fehlten nur noch ein paar Zeilen, aber der Commissario saß plötzlich mitten auf dem Bett und blickte drein wie ein Irrer.
»Es ist völlig verrückt«, sagte er zu sich, »aber ich mache es.«
»Ist Signora Ingrid da? Ich weiß, daß es spät ist, aber ich muß sie sprechen.«
»Signora nix da. Du sagen, ich schreiben.« Die Familie Cardamone suchte sich ihre Hausmädchen mit Vorliebe in Gegenden, die nicht mal Tristan da Cunha zu betreten gewagt hatte.
»Manaò tupapaú«, sagte der Commissario. »Nix verstehen.« Er hatte den Titel eines Bildes von Gauguin genannt, das Mädchen kam aber offenbar nicht aus Tahiti oder Umgebung.
»Du schreiben, ja? Signora Ingrid anrufen Signor Montalbano, wenn wieder zurück.«
Es war schon zwei Uhr vorbei, als Ingrid nach Marinella kam, im Abendkleid, rückenfrei bis zum Hintern. Ohne zu zögern, war sie der Bitte des Commissario, sie sofort zu treffen, gefolgt.
»Entschuldige, aber ich habe mich nicht umgezogen, um keine Zeit zu verlieren. Ich war auf einem stinklangweiligen Empfang.«
»Was hast du? Du gefällst mir nicht. Ist es nur, weil du dich auf dem Empfang gelangweilt hast?«
»Nein, du hast schon recht. Mein Schwiegervater stellt mir wieder nach. Gestern früh ist er in mein Schlafzimmer geplatzt, als ich noch im Bett lag. Er wollte sofort über mich herfallen. Ich habe gedroht, ich würde schreien, da hat er sich wieder verzogen.«
»Dann weiß ich ja, was ich zu tun habe«, grinste der Commissario.
»Was denn?«
»Er kriegt eine zweite Dosis verabreicht.«
Sie sah in fragend an, Montalbano schloß eine Schublade seines Schreibtisches auf, nahm einen Umschlag heraus und reichte ihn Ingrid. Als sie die Fotos sah, die sie zeigten, während sie von ihrem Schwiegervater vergewaltigt wurde, wurde sie erst blaß und dann rot.
»Hast du die gemacht?«
Montalbano überlegte rasch, denn wenn sie hörte, daß eine Frau sie fotografiert hatte, ging Ingrid ihm möglicherweise an die Gurgel.
»Ja, das war ich.«
Die schallende Ohrfeige, die ihm die Schwedin verabreichte, dröhnte ihm im Kopf, aber er hatte sie erwartet.
»Ich habe deinem Schwiegervater schon drei Fotos geschickt, da hat er es mit der Angst zu tun bekommen und dich eine Zeitlang in Ruhe gelassen. Jetzt kriegt er noch mal drei.«
Da stand Ingrid auch schon bei ihm, drückte ihren Körper an Montalbanos Körper, preßte ihre Lippen auf seine Lippen, liebkoste mit ihrer Zunge seine Zunge. Montalbano spürte, wie seine Knie butterweich wurden, aber Ingrid ließ ihn, Gott sei Dank, wieder los.
»Ganz ruhig«, sagte sie, »es ist schon vorbei. Ich wollte dir nur danken.«
Ingrid suchte drei Fotos aus, und Montalbano schrieb auf die Rückseite: LASS DIE FINGER VON IHR, ODER DU ERSCHEINST DAS NÄCHSTE MAL IM FERNSEHEN.
»Die anderen behalte ich hier«, sagte der Commissario. »Sag mir Bescheid, wenn du sie brauchst.«
»Hoffentlich noch lange nicht.«
»Morgen früh schicke ich sie ihm, und dazu kriegt er einen anonymen Anruf, daß ihn der Schlag trifft. Jetzt hör gut zu, ich muß dir eine lange Geschichte erzählen. Und danach werde ich dich bitten, mir zu helfen.«
Um sieben Uhr stand er auf; er hatte kein Auge zugetan, nachdem Ingrid gegangen war. Er warf einen Blick in den Spiegel – abgespannt
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