Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge

Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge

Titel: Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
gekümmert, obwohl der Brief so besorgt und beunruhigend klang.«
    »Nun ja, schauen Sie…«
    »Verdienen Sie gut, Dottore?«
    »Ich kann mich nicht beklagen.«
    »Eine Frage: Warum wollten Sie mir den Brief zeigen?«
    »Weil jetzt, nach dem Mord, alles anders aussieht. Ich dachte mir, der Brief könnte bei den Ermittlungen von Nutzen sein.«
    »Nein, das kann er nicht«, sagte Montalbano ruhig. »Nehmen Sie ihn wieder mit, und bewahren Sie ihn gut auf. Haben Sie Kinder, Dottore?«
    »Eines. Calogerino, er ist vier.«
    »Ich hoffe für Sie, daß Sie Ihren Sohn niemals brauchen werden.«
    »Warum?« fragte Dottor Antonino Lapecora irritiert.
    »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - wenn das wirklich so ist, säßen Sie schön in der Scheiße.«
    »Was erlauben Sie sich?«
    »Wenn Sie nicht innerhalb von zehn Sekunden verschwinden, lasse ich Sie unter irgendeinem Vorwand verhaften.« Der Dottore verließ so fluchtartig das Zimmer, daß der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, umkippte. Aurelio Lapecora hatte seinen Sohn verzweifelt um Hilfe gebeten, doch der hatte mal eben einen Ozean zwischen sich und den Vater gebracht.
    Bis vor dreißig Jahren bestand Villaseta aus etwa zwanzig Häusern oder vielmehr Hütten, die auf halbem Weg zwischen Vigàta und Montelusa links und rechts die Provinciale säumten. Doch in den Jahren des Wirtschaftsbooms gesellte sich zur Bauwut (auf der die Verfassung unseres Landes zu fußen scheint: »Italien ist eine Republik, die sich auf die Bautätigkeit gründet«) auch noch der Straßenbauwahn, und so war Villaseta eines Tages zur Schnittstelle von drei Schnellstraßen, einer Überlandstraße, einem sogenannten »Hosenträger«, zwei Provinciali und drei Interprovinciali geworden. Einige dieser Straßen bereiteten dem leichtsinnigen ortsunkundigen Reisenden nach ein paar Kilometern touristischen Panoramas mit zweckmäßigerweise rot angestrichenen Leitplanken, an denen Richter, Polizisten, Carabinieri, Steuerfahnder und sogar Gefängniswärter ermordet worden waren, die Überraschung, unerklärlicher- oder allzu erklärlicherweise am Fuß eines Hügels zu enden, der so öde war, daß man argwöhnen mußte, er sei noch nie von einem Menschen betreten worden. Andere Straßen indes hörten unversehens am Meeresufer auf, am Strand mit seinem hellen feinen Sand, wo weit und breit kein Haus und bis zum Horizont kein Schiff zu sehen war und der leichtsinnige Reisende leicht dem Robinson-Syndrom anheimfallen konnte. Villaseta, wo man immer schon dem Hauptinstinkt gefolgt war, rechts und links jedweder Straße Häuser hinzustellen, entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem ausgedehnten Labyrinth.
    »Wie sollen wir denn da die Via Garibaldi finden?« jammerte Fazio, der am Steuer saß.
    »Wo sind die Vororte von Villaseta?« erkundigte sich der Commissario.
    »An der Straße nach Butera.«
    »Da fahren wir hin«, sagte Montalbano zu Fazio. »Woher wissen Sie, daß die Via Garibaldi dort ist?«
    »Überleg mal, Fazio.«
    Er wußte, daß er nicht irrte. Er hatte selbst beobachten können, daß in den Jahren unmittelbar vor dem erwähnten Wirtschaftswunder im Zentrum jedes Dorfes und jeder Stadt die Straßen zur gebührenden Erinnerung nach den Vätern des Vaterlandes benannt worden waren (zum Beispiel Mazzini, Garibaldi, Cavour) sowie nach alten Politikern (Orlando, Sonnino, Crispi) und Klassikern (Dante, Petrarca, Carducci; Leopardi traf man seltener an). Nach dem Boom hatten sich die Straßennamen geändert - Väter des Vaterlandes, alte Politiker und Klassiker landeten in der Peripherie, während Pasolini, Pirandello, De Filippo, Togliatti, De Gasperi und der unvermeidliche Kennedy ins Zentrum einzogen (natürlich John und nicht Bob Kennedy, obwohl Montalbano in einem abgelegenen Dorf in den Monti Nebrodi mal auf eine Piazza F.Iii Kennedy, einen Gebr.-Kennedy-Platz, gestoßen war).
    Der Commissario hatte zwar recht, aber auch wieder unrecht. Recht hatte er, weil an der Straße nach Butera, wie er vorausgesehen hatte, tatsächlich die Zentrifugalverschiebung der historischen Namen stattgefunden hatte. Unrecht hatte er, weil die Straßen dieses sogenannten Viertels nicht nach den Vätern des Vaterlandes, sondern, weiß der Himmel warum, nach Verdi, Bellini, Rossini und Donizetti benannt waren. Fazio beschloß entmutigt, einen alten Bauern, der auf einem mit dürren Ästen beladenen Esel saß, um Auskunft zu bitten. Aber der Esel wollte einfach nicht stehenbleiben, und so war Fazio gezwungen, den

Weitere Kostenlose Bücher