Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
Motor zu drosseln und ganz langsam neben ihm herzufahren.
»Können Sie uns bitte sagen, wo die Via Garibaldi ist?« Der Alte schien nicht gehört zu haben. »Wo geht's denn zur Via Garibaldi raus?« fragte Fazio noch mal etwas lauter.
Der Alte wandte sich um und sah den Fremden zornig an. »Garibaldi raus? In unserem Land geht alles den Bach runter, und da sagen Sie Garibaldi raus? Her mit Garibaldi! Er soll wiederkommen, und zwar sofort, und diesem Sauhaufen mal richtig in den Arsch treten!«
Sechs
Die Via Garibaldi, die sie schließlich doch noch fanden, grenzte an das unwirtliche gelbe Hinterland, das hin und wieder vom Grün eines kümmerlichen Gärtchens unterbrochen wurde. Die Nummer 70 war ein kleines Haus aus unverputztem Sandstein. Zwei Zimmer: Das untere betrat man durch eine ziemlich niedrige Tür neben einem schmalen Fenster; das obere, das einen kleinen Balkon hatte, erreichte man über eine Außentreppe. Fazio klopfte, und nach einer Weile öffnete eine alte Frau, die in ein verschlissenes, aber sauberes weites Hemd, eine gallabiya, gekleidet war. Als sie die beiden sah, erging sie sich in einem Schwall arabischer Worte, in den sich ab und zu spitze Schreie mischten.
»Na dann, gut' Nacht«, stellte Montalbano irritiert fest und verlor sogleich den Mut (der Himmel war wieder leicht bewölkt).
»Warte mal!« sagte Fazio zu der Alten und streckte ihr in der internationalen Geste, die »stopp« bedeutet, seine Handflächen entgegen. Die Alte verstand und verstummte augenblicklich.
»Ka-ri-ma?« fragte Fazio, und weil er fürchtete, den Namen nicht richtig ausgesprochen zu haben, wackelte er mit den Hüften und strich sich über eine ebenso wallende wie imaginäre Haarpracht. Die Alte lachte.
»Karima!« sagte sie und wies mit dem Zeigefinger zu dem oberen Zimmer.
Sie stiegen die Außentreppe hinauf - Fazio vornweg, in der Mitte Montalbano und dann die Alte, die unverständliches Zeug vor sich hin kreischte. Fazio klopfte, aber niemand antwortete. Das Gekreisch der Alten wurde noch lauter. Fazio klopfte wieder. Da schob die Alte resolut den Commissario beiseite, überholte ihn, drängte Fazio weg, stellte sich mit dem Rücken zur Tür, machte Fazio nach, indem sie sich übers Haar strich und mit den Hüften wackelte, und ließ ihrer Mimik die Geste folgen, die »weggegangen« besagte; dann senkte sie die ausgestreckte Hand, hob sie wieder, spreizte die Finger und wiederholte die Geste »weggegangen«.
»Hatte sie ein Kind dabei?« fragte der Commissario erstaunt.
»Sie ist mit ihrem fünfjährigen Sohn weggegangen, wenn ich das richtig verstanden habe«, bestätigte Fazio. »Ich will mehr darüber wissen«, sagte Montalbano. »Ruf im Ausländeramt in Montelusa an, sie sollen jemanden schicken, der Arabisch kann. So schnell wie möglich.« Fazio ging, gefolgt von der Alten, die ununterbrochen auf ihn einredete. Der Commissario setzte sich auf eine Stufe, zündete sich eine Zigarette an und startete ein Wettstillsitzen mit einer Eidechse.
Buscamo, der Polizeibeamte, der Arabisch sprach, weil er in Tunesien geboren war und bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr dort gelebt hatte, kam bereits nach einer knappen Dreiviertelstunde. Als die Alte hörte, daß der Neuankömmling ihrer Sprache mächtig war, entschied sie sich unverzüglich zur Kooperation.
»Sie sagt, sie will alles dem Onkel erzählen«, übersetzte Buscamo.
Erst ein Kind und jetzt auch noch ein Onkel? »Und wer soll das sein?« fragte Montalbano verblüfft. »Der Onkel, also, der Onkel wären Sie, Commissario«, erklärte der Beamte, »das ist eine respektvolle Anrede. Sie sagt, daß Karima gestern früh gegen neun gekommen ist, ihren Sohn geholt hat und schnell wieder weggegangen ist. Sie meint, daß sie sehr nervös wirkte, als hätte sie Angst gehabt.«
»Hat sie den Schlüssel zu dem oberen Zimmer?«
»Ja«, sagte der Beamte, nachdem er gefragt hatte. »Laß ihn dir geben, dann schauen wir mal rein.« Während sie die Treppe hinaufstiegen, redete die Alte ohne Punkt und Komma, und Buscamo übersetzte schnell. Karimas Sohn war fünf Jahre alt; die Mutter ließ ihn, wenn sie arbeiten ging, bei der Alten; der Junge hieß Francois, sein Vater war ein Franzose, der in Tunesien auf Durchreise gewesen war.
Karimas Zimmer war blitzsauber, es gab ein Doppelbett, ein Bettchen für das Kind, abgetrennt durch einen Vorhang, einen kleinen Tisch mit Telefon und Fernseher, einen größeren Tisch mit vier Stühlen, ein Toilettentischchen mit
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