Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
Karima es mitgenommen. »Sie geht davon aus, daß sie nicht lange fortbleibt«, stellte Fazio fest.
»Frag sie«, sagte der Commissario zu Buscamo, »ob Karima oft über Nacht wegblieb.«
Nicht oft, manchmal. Aber sie sagte immer Bescheid. Montalbano dankte Buscamo und fragte ihn: »Kannst du Fazio nach Vigàta mitnehmen?« Fazio sah seinen Chef erstaunt an. »Warum, was machen Sie denn?«
»Ich bleibe noch ein bißchen hier.«
Unter den vielen Fotografien, die der Commissario sich jetzt genauer ansah, war ein großer gelber Umschlag mit zwei Dutzend Aktfotos von Karima, mal in provozierender, mal in eindeutig obszöner Pose, eine Art Musterkatalog für wirklich erstklassige Ware. Warum hatte eine solche Frau keinen Ehemann oder reichen Geliebten gefunden, der für sie sorgte, sondern war zur Prostitution gezwungen? Auf einem Foto sah die hochschwangere Karima verliebt zu einem großen blonden Mann hoch, an dem sie förmlich klebte, wahrscheinlich dem Vater von Francois, dem Franzosen auf Durchreise in Tunesien. Andere Fotos zeigten Karima als Kind mit einem kleinen Jungen, der nur wenig älter war als sie. Sie sahen sich ähnlich, hatten dieselben Augen und waren zweifellos Geschwister. Es gab sehr viele Fotos mit dem Bruder, die im Lauf der Jahre geschossen worden waren. Das jüngste mußte das sein, auf dem Karima mit ihrem wenige Monate alten Sohn auf dem Arm und dem Bruder zu sehen war, der eine Art Uniform trug und eine Maschinenpistole in der Hand hatte. Montalbano nahm das Foto und ging die Treppe hinunter. Die Alte stampfte Hackfleisch in einem Mörser und fügte gekochte Getreidekörner hinzu. Auf einem Teller lagen Fleischspießchen zum Braten bereit, jeder Spieß in ein Weinblatt gewickelt. Montalbano legte seine Fingerspitzen wie zu einer Artischocke zusammen und bewegte sie von oben nach unten und wieder zurück. Die Alte verstand die Frage. Erst zeigte sie auf den Mörser. »Kubba.«
Dann nahm sie ein Spießchen in die Hand. »Kebab.«
Der Commissario hielt ihr das Foto hin und zeigte auf den Mann. Die Alte antwortete etwas Unverständliches. Montalbano ärgerte sich über sich selbst: Warum hatte er Buscamo nur so schnell weggeschickt? Dann fiel ihm ein, daß die Tunesier jahrelang mit Franzosen zu tun gehabt hatten. Er versuchte es. »Frère? «
Die Augen der Alten leuchteten auf. »Oui. Son frère Ahmed.«
»Où est-il?«
»Je ne sais pas«, sagte die Alte und breitete die Arme aus.
Nach diesem Dialog, der aus einem Lehrbuch für Konversation hätte stammen können, ging Montalbano noch mal in das obere Zimmer und holte das Foto mit der schwangeren Karima und dem blonden Mann. »Son mari?«
Die Alte machte eine verächtliche Geste. »Simplement le pére de Francois. Un mauvais komme.« Die schöne Karima war schon zu vielen schlechten Männern begegnet und begegnete ihnen weiterhin. »Je m'appelle Aisha«, sagte die Alte plötzlich. »Mon nom est Salvo«, sagte Montalbano.
Er setzte sich ins Auto, fand die Pasticceria wieder, an der er vorher vorbeigefahren war, kaufte zwölf cannoli und fuhr wieder zurück. Aisha hatte unter einer winzigen Pergola hinter dem Haus, dort, wo es in den Garten ging, den Tisch gedeckt. Das Land außen herum war öde. Der Commissario wickelte als erstes sein Päckchen aus, und die Alte aß zur Vorspeise zwei cannoli. Die kubba begeisterte Montalbano nicht, aber die kebab schmeckten nach säuerlichen Kräutern, was sie richtig lebhaft machte; zumindest nannte er es so, denn manchmal fehlten ihm die passenden Adjektive.
Beim Essen erzählte Aisha ihm wahrscheinlich ihr Leben, aber das Französische war ihr abhanden gekommen, und sie redete nur noch arabisch. Dennoch nahm der Commissario regen Anteil: Wenn die Alte lachte, lachte auch er; wenn die Alte traurig aussah, machte er ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.
Als sie fertig gegessen hatten, räumte Aisha den Tisch ab, und Montalbano rauchte, mit sich und der Welt zufrieden, eine Zigarette. Dann kam die Alte zurück; sie machte ein geheimnisvolles und verschwörerisches Gesicht. In der Hand hielt sie eine längliche, flache schwarze Schatulle, in der sie möglicherweise einmal eine Kette oder etwas Ähnliches aufbewahrt hatte. Aisha öffnete sie, darin lag ein Sparbuch der Banca Popolare von Montelusa. »Karima«, sagte die Alte und legte den Finger an die Lippen, um deutlich zu machen, daß das ein Geheimnis war und auch eines bleiben mußte.
Montalbano nahm das Sparbuch aus der Schachtel und schlug es
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