Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
auf.
Volle fünfhundert Millionen.
Im vergangenen Jahr - hatte Signora Clementina Vasile Cozzo ihm erzählt - hatte sie schrecklich unter Schlaflosigkeit gelitten, gegen die sie nichts hatte tun können; zum Glück dauerte dieser Zustand aber nur ein paar Monate. Den größten Teil der Nacht verbrachte sie mit Fernsehen oder Radiohören. Lesen konnte sie nicht, das ging nicht so lange, weil ihre Augen nach kurzer Zeit müde wurden. Einmal, es mochte etwa vier Uhr morgens gewesen sein, vielleicht auch früher, hörte sie zwei Betrunkene grölen, die direkt unter ihrem Fenster eine Schlägerei begannen. Sie schob die Gardine beiseite, nur so, aus Neugierde, und sah, daß in Lapecoras Büro Licht war. Was hatte Signor Lapecora denn mitten in der Nacht noch zu tun? Und tatsächlich - Lapecora war gar nicht da, niemand war da, das Zimmer war leer. Signora Vasile Cozzo glaubte, er hätte vielleicht vergessen, das Licht zu löschen. Plötzlich tauchte, aus dem anderen Zimmer, das sie zwar nicht sehen konnte, von dessen Existenz sie aber wußte, ein junger Mann auf, einer, der ab und zu ins Büro kam, auch wenn Lapecora nicht da war. Dieser junge Mann war völlig nackt, lief ans Telefon, nahm den Hörer ab und begann zu sprechen. Offenbar hatte das Telefon geklingelt, aber das hatte die Signora natürlich nicht gehört. Kurz darauf kam, ebenfalls aus dem anderen Zimmer, Karima herein. Auch sie war nackt; sie hörte zu, wie der junge Mann lebhaft diskutierte. Dann war das Gespräch beendet, der junge Mann packte Karima am Arm, und sie gingen in das andere Zimmer zurück, um zu Ende zu führen, worin das Telefon sie unterbrochen hatte. Später erschienen sie wieder, inzwischen angezogen, löschten das Licht und fuhren mit dem großen metallicgrauen Auto des Mannes weg. Diese Geschichte hatte sich im Lauf des letzten Jahres vier- oder fünfmal wiederholt. Meistens taten oder sagten sie stundenlang gar nichts, und wenn er sie am Arm nahm und ins Nebenzimmer führte, dann geschah es aus purem Zeitvertreib. Er schrieb oder las manchmal, dann döste sie auf dem Stuhl, den Kopf in Erwartung des Telefonanrufs auf den Tisch gelegt. Ab und zu tätigte der junge Mann nach einem solchen Telefongespräch selbst ein oder zwei Anrufe.
Diese Frau, Karima, machte montags, mittwochs und freitags das Büro sauber - aber was, um Himmels willen, gab es da sauberzumachen? -, manchmal ging sie ans Telefon, aber nie holte sie Signor Lapecora an den Apparat, obwohl er selbst anwesend war und ihr zuhörte, wenn sie sprach, mit gesenktem Kopf, den Blick auf den Boden gerichtet, als ob ihn die Sache gar nichts anginge oder er beleidigt wäre.
Nach Meinung von Signora Clementina Vasile Cozzo war die Putzfrau, die Dienerin, die Tunesierin eine schmutzige, üble Person.
Sie tat nicht nur, was sie mit dem dunkelhaarigen jungen Mann machte, sondern becircte manchmal auch den armen Lapecora, dem gar nichts anderes übrigblieb, als nachzugeben und mit ihr in das andere Zimmer zu gehen. Einmal, als Lapecora an dem Tischchen mit der Schreibmaschine saß und Zeitung las, hatte sie sich vor ihn hingekniet, seine Hose aufgeknöpft und, immer noch kniend… An dieser Stelle war Signora Vasile Cozzo errötet und hatte ihre Erzählung abgebrochen.
Es war klar, daß Karima und der junge Mann einen Schlüssel zum Büro besaßen; vielleicht hatten sie ihn von Lapecora bekommen, vielleicht hatten sie sich auch einen Nachschlüssel machen lassen. Ebenfalls klar war, auch ohne Zeugen, die unter Schlaflosigkeit litten, daß Karima in der Nacht, bevor Lapecora umgebracht wurde, mehrere Stunden in der Wohnung des Opfers verbracht hatte, wie der Geruch nach Volupté bewies. Besaß sie auch einen Wohnungsschlüssel, oder hatte Lapecora, den Umstand ausnutzend, daß seine Frau eine starke Dosis Schlafmittel genommen hatte, sie hereingelassen? Wie auch immer - die Geschichte ergab keinen Sinn. Warum sollten sie riskieren, von Signora Antonietta überrascht zu werden, wenn sie sich doch bequem im Büro treffen konnten? Aus einer Laune heraus? Um einer Beziehung, die langweilig zu werden drohte, das Prickeln der Gefahr beizumischen? Und dann war da noch die Sache mit den drei anonymen Briefen, die zweifellos im Büro verfaßt worden waren. Warum hätten Karima und der dunkelhaarige junge Mann das getan? Um Lapecora in Schwierigkeiten zu bringen? Eher nicht. Davon hätten sie nichts gehabt. Sie hätten sogar riskiert, daß sie ihr Telefonquartier oder das, was die Firma
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