Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
ging genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. Seite 17:
»Smiley, hier ist Maston. Sie haben doch am Montag Samuel Arthur Fennan einvernommen, ist das richtig?«
»Ja… ja, das stimmt.«
»Um was hat es sich gehandelt?«
»Ein anonymer Brief, in dem er beschuldigt wurde, in Oxford bei der Partei gewesen zu sein…« Und dann auf Seite 212 die Schlußfolgerungen, zu denen Smiley in seinem Bericht kommt:
»Es bestand jedoch die Möglichkeit, daß er nicht mehr Lust hatte weiterzumachen und daß seine Einladung an mich der erste Schritt zu einem Geständnis gewesen war. Wenn das der Fall war, dann kann er möglicherweise auch den anonymen Brief geschrieben haben, hinter dem die Absicht stecken konnte, ihn mit dem Department in Kontakt zu bringen.«
Wenn man Smileys Logik folgte, war es also möglich, daß Lapecora die gegen ihn gerichteten anonymen Briefe selbst geschrieben hatte. Aber wenn er der Verfasser war, warum hatte er sich dann nicht - eventuell unter irgendeinem Vorwand - an die Polizei oder die Carabinieri gewandt? Kaum hatte er die Frage zu Ende gedacht, mußte er schon lachen - wie naiv er doch war. Hätte Lapecora die Polizei oder die Carabinieri eingeschaltet, dann hätte ein anonymer Brief, der zur Einleitung von Ermittlungen führte, für Lapecora selbst weitaus ernstere Folgen gehabt. Dadurch daß er sie an seine Frau adressierte, hoffte Lapecora, eine sozusagen nur innerfamiliäre Reaktion hervorzurufen, die jedoch ausreichen würde, ihn aus einer Situation zu erlösen, die entweder gefährlich war oder ihn belastete, weil er sie nicht mehr ertrug. Er wollte da raus, und die Briefe waren Hilferufe gewesen, aber seine Frau hatte sie als das genommen, was sie waren - irgendwelche anonymen Briefe, die sie über ein billiges, ordinäres Verhältnis aufklärten. Sie war gekränkt, hatte nicht reagiert und sich in verächtliches Schweigen gehüllt. Da hatte Lapecora in seiner Verzweiflung an seinen Sohn geschrieben, ohne sich hinter der Anonymität zu verstecken; aber der war, blind vor Egoismus und der Furcht, ein paar Lire zu verlieren, nach New York geflohen.
Dank Smiley paßte alles zusammen. Er ging wieder schlafen.
Commendatore Baldassarre Marzachì, Leiter des Postamtes von Vigàta, war bekanntermaßen dumm und arrogant. Auch diesmal blieb er sich treu. »Ich kann Ihrem Ersuchen nicht stattgeben.«
»Aber warum denn nicht?«
»Weil Sie keine richterliche Ermächtigung haben.«
»Und wozu sollte ich die brauchen? Jeder Angestellte Ihres Amtes würde mir die Auskunft, um die ich bitte, sofort geben. Es ist eine Sache ohne jede Bedeutung.«
»Das behaupten Sie. Wenn meine Angestellten Ihnen die Auskunft geben würden, wäre das eine Zuwiderhandlung, die einen Verweis zur Folge hätte.«
»Commendatore, überlegen Sie doch mal. Ich frage Sie nur nach dem Namen des Postboten, der die Gegend um die Salita Granet bedient. Das ist alles.«
»Und ich werde ihn Ihnen nicht geben, verstehen Sie? Falls ich ihn zufällig sagen würde, was würden Sie dann machen?«
»Dem Postboten ein paar Fragen stellen.«
»Sehen Sie? Sie wollen das Postgeheimnis verletzen!«
»Wieso denn das?«
Ein echter Schwachsinniger, wie sie in diesen Zeiten, in denen sich die Schwachsinnigen als intelligent ausgaben, nicht mehr leicht zu finden waren. Der Commissario beschloß, ein bißchen Theater zu spielen und so seinen Gegner fertigzumachen. Er ließ seinen Oberkörper nach hinten sinken, drückte den Rücken gegen die Stuhllehne, brachte seine Hände und Beine zum Zittern und versuchte verzweifelt, den Hemdkragen zu lockern.
»Oddio!« röchelte er.
»Oddio!« echote Commendator Marzachi, erhob sich und eilte zum Commissario. »Fühlen Sie sich schlecht?«
»Helfen Sie mir!« keuchte Montalbano. Als der andere sich zu ihm herunterbeugte und den Kragen zu öffnen versuchte, fing der Commissario an zu schreien.
»Lassen Sie mich los! Perdio, lassen Sie mich los!« Im gleichen Augenblick packte er Marzachis Hände, der ihn instinktiv hatte loslassen wollen, und hielt sie auf der Höhe seines Halses fest.
»Was machen Sie denn da?« stotterte Marzachi verstört, er begriff gar nichts mehr. Montalbano schrie wieder. »Lassen Sie mich los! Was erlauben Sie sich eigentlich!« brüllte er aus Leibeskräften und hielt die Hände des Commendatore immer noch fest umschlossen. Die Tür wurde aufgerissen, und zwei bestürzte Angestellte erschienen, ein Mann und eine Frau, die klar und deutlich sahen, daß ihr Chef den
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