Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
inzwischen war, nicht mehr hätten nutzen können. Um all das besser zu verstehen, mußte man die Rückkehr von Karima abwarten, die, da hatte Fazio ganz recht, untergetaucht war, um nicht auf gefährliche Fragen antworten zu müssen, und erst zurückkommen würde, wenn sich die Wogen geglättet hatten. Der Commissario war sicher, daß Aisha ihr Wort halten würde. In unmöglichem Französisch hatte er ihr erklärt, daß Karima in schlechte Kreise geraten war und daß dieser böse Mann und seine Kumpane früher oder später nicht nur sie, sondern auch Francois und sogar Aisha selbst umbringen würden. Er hatte den Eindruck, daß er sie genug erschreckt und ganz gut überzeugt hatte.
Sie vereinbarten, daß die Alte ihn anrufen würde, sobald Karima auftauchte, sie brauche nur nach Salvo zu fragen und ihren Namen zu nennen, Aisha. Er gab ihr die Telefonnummern seines Büros und von zu Hause und legte ihr ans Herz, sie gut zu verstecken, wie sie es mit dem Sparbuch getan hatte.
Natürlich funktionierte diese Abmachung nur unter einer Voraussetzung - daß Karima nicht die Mörderin war. Aber wie der Commissario es auch drehte und wendete, mit einem Messer in der Hand konnte er sie sich nicht vorstellen.
Im Schein des Feuerzeugs blickte er auf die Uhr: fast Mitternacht. Seit über zwei Stunden saß er auf der Veranda, im Dunkeln, damit ihn die Schnaken und Sandmücken nicht bei lebendigem Leib auffraßen, und dachte immer wieder über das nach, was er von Signora Clementina und Aisha gehört hatte.
Eine Sache mußte noch geklärt werden. Konnte er zu dieser späten Stunde die Vasile Cozzo noch anrufen? Die Signora hatte ihm erklärt, daß das Dienstmädchen sie nach dem Essen auskleidete und in den Rollstuhl setzte. Dann war sie zwar für die Nacht zurechtgemacht, aber sie legte sich noch nicht hin, sondern sah bis spät abends fern. Vom Rollstuhl ins Bett und umgekehrt schaffte sie es allein. »Signora, es ist unverzeihlich, ich weiß.«
»Aber ich bitte Sie, Commissario! Ich war wach, ich habe ferngesehen.«
»Ecco, Signora. Sie sagten, der junge Mann habe manchmal gelesen oder geschrieben. Was hat er denn gelesen oder geschrieben? Konnten Sie das irgendwie erkennen?«
»Er las Zeitungen und Briefe. Und schrieb auch Briefe. Aber er benutzte nicht die Schreibmaschine, die im Büro steht, er hatte eine Reiseschreibmaschine dabei. Brauchen Sie noch etwas?«
»Ciao, amore, hast du schon geschlafen, Salvo? Nein? Wirklich nicht? Ich bin morgen mittag gegen eins bei dir. Du brauchst dir meinetwegen gar keine Gedanken zu machen. Wenn ich komme und du bist nicht da, dann warte ich. Ich habe ja einen Hausschlüssel.«
Sieben
Offenbar hatte ein Teil seines Gehirns im Schlaf weiter am Fall Lapecora herumgeknobelt, denn gegen vier Uhr morgens fiel Montalbano etwas ein, und er stand auf und wühlte hastig in seinen Büchern herum. Plötzlich erinnerte er sich, daß Augello sich das Buch von ihm geliehen hatte, denn er hatte im Fernsehen einen Film gesehen, der danach gedreht worden war. Jetzt hatte er es schon seit einem halben Jahr und ihm immer noch nicht zurückgebracht. Montalbano wurde nervös. »Pronto, Mimi? Ich bin's, Montalbano.«
»Oddio, was ist denn? Ist was passiert?«
»Hast du noch den Roman von Le Carré, Schatten von gestern? Ich weiß genau, daß ich ihn dir geliehen habe.«
»Bist du verrückt geworden? Es ist vier Uhr morgens!«
»Na und? Ich will das Buch zurück.«
»Salvo, in aller Freundschaft - du bist langsam reif für die Klapsmühle.«
»Ich will es sofort.«
»Ich habe geschlafen! Beruhig dich doch, ich bring's dir ja morgen früh ins Büro. Jetzt müßte ich mir eine Unterhose anziehen, das Buch suchen, mich fertig machen…«
»Das ist mir scheißegal. Du suchst das Buch, findest es, setzt dich ins Auto, von mir aus in Unterhosen, und bringst es mir.«
Eine halbe Stunde lang wanderte er durchs Haus und machte allerlei Überflüssiges, zum Beispiel versuchte er die Telefonrechnung zu verstehen oder das Etikett einer Mineralwasserflasche zu lesen. Dann hörte er, daß ein Auto angerast kam, etwas dumpf gegen die Haustür knallte und das Auto wieder abfuhr. Er öffnete die Tür, das Buch lag auf dem Boden, die Rücklichter von Augellos Auto waren kaum noch zu sehen. Er überlegte, ob er anonym bei der Arma anrufen sollte.
»Hier spricht ein Bürger. Ein Tobsüchtiger in Unterhosen fährt durch die Gegend…«
Er ließ es bleiben und begann, in dem Roman zu blättern. Die Geschichte
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