Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
dienen.
»Weißt du inzwischen etwas von Francois' Mutter?«
»Ja. Ich habe eine Spur. Aber erwarte nichts Gutes«, antwortete der Commissario.
»Wenn… wenn Karima nicht zurückkommt… was… was geschieht dann mit Francois?«
»Ich weiß es nicht, wirklich nicht.«
»Ich gehe ins Bett«, sagte Livia und stand schnell auf. Montalbano nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen.
»Häng dein Herz nicht zu sehr an ihn.«
Er löste Francois behutsam aus Livias Armen und legte ihn auf das zurechtgemachte Sofa. Als er ins Bett schlüpfte, schmiegte Livia sich mit dem Rücken an ihn und entzog sich seinen Liebkosungen nicht, ganz im Gegenteil. »Und wenn der Kleine aufwacht?« fragte Montalbano, der das Sticheln nicht lassen konnte, im schönsten Augenblick.
»Wenn er aufwacht, tröste ich ihn«, keuchte Livia.
Es war sieben Uhr morgens. Der Commissario stand leise auf und ging ins Bad. Wie immer betrachtete er sich als erstes im Spiegel und verzog den Mund. Er mochte sein Gesicht nicht, warum schaute er es überhaupt an? Da hörte er, wie Livia einen spitzen Schrei ausstieß, er riß die Tür auf - Livia stand im Eßzimmer, das Sofa war leer. »Er ist weg!« sagte sie zitternd.
Mit einem Satz war der Commissario in der Veranda. Und da sah er ihn, einen kleinen Punkt am Strand, auf dem Weg nach Vigàta. In Unterhosen, wie er war, nahm er die Verfolgung auf. Francois rannte nicht, er schritt entschlossen aus. Als er hörte, daß jemand hinter ihm herlief, blieb er stehen und drehte sich nicht einmal um. Montalbano kauerte sich schwer atmend vor ihn auf den Boden, stellte aber keine Fragen.
Der Kleine weinte nicht, seine Augen blickten starr an Montalbano vorbei.
»Je veux maman«, sagte er.
Montalbano sah, wie Livia, die in eines seiner Hemden geschlüpft war, auf sie zulief; er hielt sie mit einer Handbewegung auf und bedeutete ihr, ins Haus zurückzugehen. Livia gehorchte. Der Commissario nahm den Jungen an die Hand, und sie gingen ganz langsam nebeneinander her. Eine Viertelstunde lang sprach keiner ein Wort. Als sie zu einem auf den Strand gezogenen Boot kamen, ließ Montalbano sich im Sand nieder, Francois setzte sich neben ihn, und der Commissario legte einen Arm um seine Schultern.
»Iu persi a me matri ch'era macari cchiù nicu di tia. Als ich meine Mutter verlor, war ich noch kleiner als du«, fing er an.
Da begannen sie zu reden, der Commissario sizilianisch und Francois arabisch, und sie verstanden sich vollkommen.
Montalbano vertraute Francois Dinge an, die er noch nie jemandem erzählt hatte, nicht einmal Livia. Wie er in manchen Nächten bitterlich weinte, den Kopf unter das Kissen gesteckt, damit der Vater ihn nicht hörte; wie er morgens verzweifelt war, weil er wußte, daß seine Mutter nicht in der Küche war, um ihm das Frühstück oder, ein paar Jahre später, die Vesper für die Schule zu richten. Und diese Lücke kann nie mehr gefüllt werden, man schleppt sie mit sich herum, bis man selbst stirbt. Der Junge fragte ihn, ob er die Macht habe, seine Mutter zurückzuholen. Nein, antwortete Montalbano, diese Macht habe niemand. Er müsse sich damit abfinden. Aber du hattest deinen Vater, stellte Francois fest, der wirklich intelligent war, nicht, weil Livia in ihrem Stolz das behauptete. Das stimmt, ich hatte meinen Vater. Und muß ich jetzt, fragte der Kleine, in so ein Haus, wo alle Kinder hinkommen, die keinen Vater und keine Mutter mehr haben? »Nein, das mußt du nicht. Das verspreche ich dir«, sagte der Commissario und reichte ihm die Hand. Francois drückte sie und sah ihm in die Augen.
Als Montalbano aus dem Bad kam und sich auf den Weg ins Büro machen wollte, sah er, daß Francois das Puzzle zerlegt hatte und jetzt mit einer Schere die Teile anders zurechtschnitt. Naiv versuchte er das vorgegebene Bild abzuwandeln. Plötzlich zuckte Montalbano zusammen, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. »Gesu!« flüsterte er.
Livia sah ihn an, sie sah, daß er zitterte, die Augen weit aufgerissen, und erschrak. »Salvo, Dio mio, was ist denn?«
Aber der Commissario antwortete nicht, sondern nahm den Jungen, hob ihn hoch, musterte ihn von oben bis unten, setzte ihn wieder hin und küßte ihn. «Francois, du bist ein Genie!« sagte er.
Als er ins Büro kam, wäre er um ein Haar mit Mimi Augello zusammengestoßen, der gerade hinausging. »Ach ja, Mimi, danke für das Puzzle.« Augello starrte ihn mit offenem Mund an. »Fazio, schnell!«
»Zu Befehl, Dottore.«
Er
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