Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
seit sieben Uhr im Büro saß; die Putzfrauen fluchten leise vor sich hin, weil sie sich bei der Arbeit gestört fühlten.
Montalbano berichtete ihm vom Geständnis Signora Lapecoras; er sagte, das arme Mordopfer habe, als ob es seinem tragischen Ende hätte zuvorkommen wollen, seiner Frau anonym und seinem Sohn unverschlüsselt geschrieben, aber die beiden hätten ihn schmoren lassen. Er sprach weder von Fahrid noch von Moussa, also nicht von dem großen Puzzle. Er wollte nicht, daß der Questore, inzwischen kurz vor der Pensionierung, in eine Geschichte hineingezogen würde, die bis zum Himmel stank. Das gelang ihm auch soweit ganz gut, er mußte dem Questore keine Lügengeschichten auftischen, sondern hatte nur das eine oder andere weggelassen und nur die halbe Wahrheit erzählt.
»Warum wollten Sie eigentlich eine Pressekonferenz abhalten, die scheuen Sie doch sonst wie der Teufel das Weihwasser?«
Mit dieser Frage hatte er natürlich gerechnet; er hatte also eine Antwort parat, die es ihm, wenigstens teilweise, erlaubte, nicht zu lügen, sondern einfach etwas wegzulassen.
»Wissen Sie, diese Karima war eine besondere Art Prostituierte. Sie war nicht nur mit Lapecora zusammen, sondern auch mit anderen Männern. Alles ältere Herren, Rentner, Geschäftsleute, Lehrer. Die habe ich jedoch rausgehalten, weil ich nicht wollte, daß man Gift und Galle speit und Bosheiten über arme alte Männer verbreitet, die ja nichts Schlimmes getan haben.«
Er fand seine Erklärung ganz plausibel. Und tatsächlich sagte der Questore dazu nur:
»Sie haben seltsame Moralvorstellungen, Montalbano.« Dann fragte er:
»Ist diese Karima denn wirklich verschwunden?«
»Es sieht ganz so aus. Als sie von der Ermordung ihres Liebhabers hörte, ist sie mit ihrem Kind untergetaucht, weil sie fürchtete, in den Mord verwickelt zu werden.«
»Was war das eigentlich für eine Geschichte mit dem Auto?«
»Mit welchem Auto?«
»Kommen Sie, Montalbano, das Auto, das sich als Wagen des Geheimdienstes herausgestellt hat. Diese Leute machen nur Scherereien, das wissen Sie doch.« Montalbano lachte. Das Lachen hatte er am Abend vorher vor dem Spiegel geübt, und zwar so lange, bis er es hinkriegte. Und jetzt klang es, anders als er gehofft hatte, künstlich, irgendwie aufgesetzt. Aber wenn er seinen Chef, diesen feinen Menschen, aus der ganzen Geschichte raushalten wollte, half nichts, da mußte er lügen.
»Warum lachen Sie?« fragte der Questore überrascht. »Weil mir das wirklich peinlich ist. Der Signore, der mir das Kennzeichen genannt hatte, hat mich nämlich am nächsten Tag angerufen und gesagt, er habe sich geirrt. Die Buchstaben stimmten zwar, aber die Nummer war nicht 237, sondern 837. Es tut mir furchtbar leid, bitte entschuldigen Sie.«
Der Questore sah ihm in die Augen, einen Moment lang, der dem Commissario wie eine Ewigkeit vorkam. Dann sagte er leise:
»Wenn Sie mir das unbedingt weismachen wollen, bitte sehr. Aber seien Sie vorsichtig, Montalbano. Mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen. Sie sind zu allem fähig, und wenn sie Mist bauen, schieben sie die Schuld ihren auf Abwege geratenen Kollegen in die Schuhe. Die gar nicht existieren. Sie sind von ihrem Wesen und ihrer Verfassung her selbst auf Abwegen.«
Montalbano wußte nicht, was er sagen sollte. Der Questore wechselte das Thema.
»Kommen Sie heute abend zu mir zum Essen. Keine Ausflüchte. Sie essen halt, was da ist. Ich muß Ihnen unbedingt zwei Dinge sagen. Hier im Büro will ich nicht darüber sprechen, es würde zu bürokratisch klingen, und das wäre mir unangenehm.«
Der Tag war schön, der Himmel wolkenlos, und doch hatte Montalbano das Gefühl, als ob sich ein Schatten vor die Sonne geschoben hätte und es im Zimmer plötzlich kalt geworden wäre.
Auf seinem Schreibtisch im Büro lag ein an ihn adressierter Brief. Wie immer versuchte er die Herkunft am Briefmarkenstempel zu erkennen, aber das ging diesmal nicht, er war nicht zu entziffern. Er öffnete den Umschlag und las.
Dottore Montalbano, Sie kennen mich nicht persönlich, und ich kenne Sie auch nicht. Ich heiße Prestifilippo, Arcangelo und bin der Sozius Ihres Vaters im Weingut, das gottlob ziemlich gut läuft und einträglich ist. Ihr Vater spricht nie von Ihnen, aber ich habe gesehen, daß er alle Zeitungen aufbewahrt, in denen etwas von Ihnen steht, und wenn Sie manchmal im Fernsehen sind, dann weint er, aber er versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
Lieber Dottore, mir bricht es fast das
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