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Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine

Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine

Titel: Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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fotografisches Gedächtnis. Er schloss die Augen, legte den Kopf in die Hände und konzentrierte sich. Und nach einer Weile sah er klar und deutlich das Döschen Feuchtigkeitscreme mit dem Deckel daneben, ganz rechts auf der Ablage in dem unordentlichen Bad in der Villa.
    In der Via Laporta 8 stand an der Sprechanlage: »Ing. Aurelio Di Blasi«, weiter nichts. Er schellte, eine Frauenstimme antwortete.
    »Chi è?«
    Es war besser, sie nicht vorzuwarnen, die Bewohner dieses Hauses schwitzten bestimmt schon Blut und Wasser.
    »Ist der Ingegnere da?«
    »Nein. Aber er kommt bald. Chi è?«
    »Ich bin ein Freund von Maurizio. Kann ich reinkommen?«
    Einen Augenblick lang fühlte er sich wie ein orno di merda, ein Scheißkerl, aber das war sein Job.
    »Oberste Etage«, sagte die Frauenstimme.
    Eine Frau um die sechzig, ungekämmt und verstört, öffnete ihm die Tür des Fahrstuhls.
    »Sie sind ein Freund von Maurizio?«, fragte die Frau mit banger Ungeduld.
    »Ja und nein«, antwortete Montalbano und spürte, wie ihm die Scheiße bis zum Hals stand.
    »Setzen Sie sich.«
    Sie führte ihn in ein geschmackvoll eingerichtetes großes Wohnzimmer und wies auf einen Sessel, sie selbst setzte sich auf einen Stuhl und schaukelte, in stummer Verzweiflung, mit dem Oberkörper vor und zurück. Die Fensterläden waren geschlossen, spärliches Licht drang durch die Ritzen, und Montalbano kam sich vor wie bei einem Beileidsbesuch. Er dachte, dass auch der Tote da war, wenn auch unsichtbar, und dass er Maurizio hieß. Auf dem Tischchen lagen verstreut ein Dutzend Fotos, die alle dasselbe Gesicht zeigten, aber im Halbdunkel des Zimmers waren die Züge nicht deutlich zu erkennen. Der Commissario holte tief Luft, wie jemand, der unter Wasser gehen will und den Atem anhält, und er war wirklich kurz davor, in diesen abgrundtiefen Schmerz von Signora Di Blasis Gedanken einzutauchen.
    »Haben Sie Nachricht von Ihrem Sohn?«
    Es war mehr als klar, dass die Dinge tatsächlich so standen, wie Fazio ihm berichtet hatte.
    »Nein. Alle suchen ihn, überall. Mein Mann, seine Freunde - alle.«
    Sie fing leise an zu weinen, die Tränen rollten ihr über das Gesicht und fielen auf ihren Rock.
    »Hatte er viel Geld dabei?«
    »Eine halbe Million bestimmt. Und dann hatte er noch diesen Ausweis, wie heißt der noch mal, die Scheckkarte.«
    »Ich hole Ihnen ein Glas Wasser«, sagte Montalbano und stand auf.
    »Bleiben Sie doch sitzen, ich gehe schon«, sagte die Frau, stand ebenfalls auf und verließ das Zimmer. Montalbano griff schnell nach einem Foto, sah es kurz an - ein Junge mit Pferdegesicht und ausdruckslosen Augen - und steckte es ein. Anscheinend hatte Ingegnere Di Blasi Abzüge machen lassen, die er verteilen wollte. Die Signora kam zurück, setzte sich aber nicht, sondern blieb in der Tür stehen. Sie war argwöhnisch geworden.
    »Sie sind viel älter als mein Sohn. Wie heißen Sie noch mal?«
    »Eigentlich ist Maurizio mit meinem jüngeren Bruder Giuseppe befreundet.«
    Er hatte einen der häufigsten Namen Siziliens gewählt.
    Aber die Signora dachte schon nicht mehr darüber nach, sie setzte sich und schaukelte wieder vor und zurück.
    »Sie haben also seit Mittwochabend nichts von ihm gehört?«
    »Absolut nichts. Er ist in der Nacht nicht heimgekommen.
    Das hat es noch nie gegeben. Er ist ein einfacher Junge und ein bisschen dumm, wenn ihm jemand erzählt, dass Hunde fliegen können, glaubt er das. Und am Morgen machte mein Mann sich dann Sorgen und begann zu telefonieren.
    Ein Freund von ihm, Pasquale Corso, hat gesehen, wie Maurizio Richtung Bar Italia gegangen ist. Das war etwa um neun Uhr abends.«
    »Hatte er ein Handy dabei?«
    »Ja. Aber wer sind Sie eigentlich?«
    »Gut«, sagte der Commissario und erhob sich. »Ich will nicht länger stören.«
    Rasch ging er zur Tür, öffnete sie und wandte sich noch mal um.
    »Wann war Michela Licalzi das letzte Mal hier?« Die Signora wurde knallrot.
    »Ich will den Namen dieser Nutte nicht hören!«, rief sie. Und schlug die Tür hinter ihm zu.
    Die Bar Italia lag direkt neben dem Kommissariat; sie alle, einschließlich Montalbano, waren hier wie zu Hause. Der Besitzer saß an der Kasse: Er war ein großer breiter Mann mit finsterem Blick, der gar nicht zu ihm passte, denn er war ein herzensguter Mensch. Er hieß Gelsomino Patti.
    »Was darf ich Ihnen bringen lassen, Commissario?«
    »Nichts, Gelsomì. Ich brauche nur eine Auskunft. Kennst du Maurizio Di Blasi?«
    »Haben sie ihn

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