Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
Päckchen, er öffnete es. Es enthielt die Fotos von dem Ausflug nach Tindari.
Er sah sie sich an. Alle zeigten lachende Gesichter, wie es sich bei einer solchen Unternehmung gehörte. Gesichter, die er schon kannte, weil er sie im Kommissariat gesehen hatte. Die Einzigen, die nicht lachten, waren die Griffos, von denen es nur zwei Fotos gab. Auf dem ersten hatte er seinen Kopf halb nach hinten gewandt und sah durch die Heckscheibe. Sie hingegen starrte stumpfsinnig ins Objektiv. Auf dem zweiten Foto hielt sie den Kopf nach vorn geneigt, und man sah ihren Gesichtsausdruck nicht, während er diesmal den Blick nach vorn geheftet hatte, die Augen ohne jeden Glanz.
Montalbano sah sich noch mal die erste Fotografie an. Dann kramte er in den Schubladen, immer hastiger, während er nicht fand, was er suchte. »Catarella!«
Catarella stürzte herein. »Hast du ein Vergrößerungsglas?«
»So eins, mit dem man die Sachen ganz groß sehen kann?«
»So eins.«
»Fazio hat vielleicht eins in seiner Schublade.« Er kam zurück, das Vergrößerungsglas triumphierend in die Höhe haltend. »Ich hab's, Dottori.«
Der Wagen, der durch die Heckscheibe aufgenommen war und fast am Bus klebte, war ein Punto. Wie eines der beiden Autos von Nenè Sanfilippo. Das Nummernschild war zu sehen, doch die Zahlen und Buchstaben konnte Montalbano nicht entziffern. Auch nicht mithilfe der Lupe. Vielleicht war es sinnlos, sich Illusionen zu machen, wie viele Puntos waren in Italien unterwegs?
Er steckte das Foto ein, grüßte Catarella, setzte sich ins Auto. Jetzt sehnte er sich danach, richtig schön zu schlafen.
Elf
Er schlief überhaupt nicht, sondern wälzte sich knapp drei Stunden, wie eine Mumie ins Laken gewickelt, im Bett hin und her. Ab und zu schaltete er das Licht an und betrachtete das Foto, das er auf das Nachtkästchen gelegt hatte, als könnte das Wunder geschehen, dass seine Augen plötzlich ganz scharf wurden und er das Nummernschild des Punto entziffern konnte, der hinter dem Bus herfuhr. Er roch, wie ein Jagdhund, der auf ein Büschel Mohrenhirse zusteuerte, dass darin ein Schlüssel versteckt lag, der ihm die richtige Tür öffnen konnte. Der Anruf, der ihn um sechs erreichte, war wie eine Befreiung. Das musste Mimi sein. Er nahm den Hörer ab.
»Dottore, habe ich Sie geweckt?« Es war nicht Mimi, es war Fazio.
»Nein, Fazio, keine Sorge. Hast du gebeichtet?«
» Sissi, Dottore. Er hat mir wieder die Buße auferlegt, wie gehabt fünf Ave-Marias und drei Vaterunser.«
»Habt ihr was ausgemacht?«
»Sissi. Die Sache ist bestätigt, wir machen es bei Einbruch der Dunkelheit. Also, wir müssen zu …«
»Warte, Fazio, nicht am Telefon. Ruh dich aus. Wir treffen uns gegen elf im Büro.«
Er dachte daran, dass Mimi um seinen Schlaf gebracht wurde, weil er sich die Kassetten von Nenè Sanfilippo ansehen musste. Es war besser, wenn er aufhörte und sich auch ein paar Stunden ins Bett legte. Die Geschichte, die sie bei Einbruch der Dunkelheit anpacken mussten, durfte nicht auf die leichte Schulter genommen werden: Alle mussten in bester Verfassung sein. Aber er hatte Nenè Sanfilippos Telefonnummer nicht. O Gott, Catarella anzurufen und zu versuchen, sie von ihm zu bekommen - im Kommissariat lag diese Nummer sicher irgendwo -, daran war gar nicht zu denken. Fazio musste sie wissen. Der war auf dem Nachhauseweg und hatte ihn mit dem Handy angerufen. Aber er hatte Fazios Handynummer nicht. Und es war ja wohl nicht anzunehmen, dass Sanfilippos Nummer im Telefonbuch von Vigàta stand! Lustlos schlug er es auf, und ebenso lustlos sah er hinein. Sie stand drin. Warum geht man, wenn man eine Nummer sucht, eigentlich immer davon aus, dass sie nicht im Telefonbuch steht? Mimi meldete sich beim fünften Klingelton. »Wer ist da?«
Mimi hatte sich leise und vorsichtig gemeldet. Anscheinend hatte er gedacht, dass jemand, der um diese Uhrzeit anrief, nur ein Freund von Sanfilippo sein konnte. Gemein, wie er war, beschloss Montalbano, darauf einzusteigen. Er konnte seine Stimme wunderbar verstellen, und jetzt ließ er sie jungenhaft und herausfordernd klingen. »Nein, sag du, wer du bist, du Arsch.«
»Erst sagst du, wer du bist.«
Mimi hatte ihn nicht erkannt. »Ich will mit Nenè sprechen. Gib ihn mir.«
»Er ist nicht da. Aber ich kann ihm was ausrichten …«
»Also, wenn Nenè nicht da ist, dann ist Mimi da.«
Montalbano hörte einen Schwall von Flüchen, dann die verärgerte Stimme von Augello, der ihn erkannt hatte.
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