Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
recht schlau aus dem Anruf«, sagte er schließlich.
»Ich auch nicht«, pflichtete Minutolo ihm bei.
»Sag mal, wieso hast du Mistretta eigentlich erlaubt, mit einem Journalisten zu sprechen?«
»Um Wirbel zu machen, die Sache zu beschleunigen. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ein so hübsches Mädchen solchen Leuten längere Zeit ausgeliefert ist.«
»Erzählst du den Journalisten von diesem Anruf?«
»Ich denke nicht dran.«
Das war im Moment alles. Der Commissario trat zu Fazio, der schon wieder schlief, und packte ihn an der Schulter.
»Wach auf, ich bring dich nach Hause.«
Fazio unternahm einen müden Protestversuch.
»Und wenn ein wichtiger Anruf kommt?«
»Ach was, die haben doch gesagt, dass sie sich erst übermorgen melden, oder?«
Der Commissario setzte Fazio zu Hause ab und fuhr weiter nach Marinella. Er schlich ins Haus, ging ins Bad und ließ sich dann auf dem Sofa nieder. Sogar zum Fluchen war er zu müde. Als er das Hemd ausziehen wollte, sah er, dass die Schlafzimmertür halb offen stand, aber drinnen war es dunkel. Livia bereute wohl, dass sie ihn ins Exil geschickt hatte. Er ging wieder ins Bad, zog sich fertig aus, lief auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und schlüpfte unter die Decke. Nach einer Weile rutschte er ganz vorsichtig an die tief schlafende Livia heran. Er schloss die Augen und schlief umgehend ein. Dann machte es plötzlich klick: Die Zeitfeder klemmte. Er brauchte nicht auf die Uhr zu sehen, er wusste auch so, dass es drei Uhr siebenundzwanzig und vierzig Sekunden war. Wie lange hatte er geschlafen? Zum Glück schlief er rasch wieder ein.
Livia wachte gegen sieben Uhr auf, Montalbano ebenfalls.
Sie schlossen Frieden.
Vor dem Kommissariat wartete Francesco Lipari, Susannas Freund.
Die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten von Nervosität und schlaflosen Nächten.
»Entschuldigen Sie, Commissario, aber ich habe heute Morgen Susannas Vater angerufen, er hat mir von dem Anruf erzählt, und da …«
»Wie bitte?! Minutolo wollte doch nicht, dass das die Runde macht!«
Der junge Mann zuckte die Schultern.
»Na gut, komm rein. Aber erzähl niemandem von dem Anruf.«
Montalbano sagte Catarella, dass er nicht gestört werden wolle.
»Hast du mir was zu sagen?«
»Nichts Besonderes. Mir ist nur eingefallen, dass ich letztes Mal etwas vergessen habe. Wie wichtig es ist, weiß ich nicht …«
»Alles kann wichtig sein.«
»Als ich Susannas Roller fand, habe ich ihren Vater nicht sofort informiert. Ich bin den Weg bis nach Vigàta gefahren und dann wieder zurück.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ganz spontan, ich dachte, dass sie vielleicht gestürzt ist und bewusstlos irgendwo liegt, also habe ich den ganzen Weg abgesucht. Aber auf der Rückfahrt habe ich nicht mehr nach ihr gesucht, sondern …«
»… nach dem Helm, den sie immer trug«, sagte Montalbano.
Francesco sah ihn mit großen Augen an.
Sechs
»Haben Sie auch schon daran gedacht?«
»Ich? Als ich an die Stelle kam, waren meine Leute längst dort. Und als sie von Susannas Vater hörten, dass sie immer einen Helm trug, haben sie ihn nicht nur auf dem Weg, sondern auch auf den Feldern hinter den Mauern gesucht, aber ohne Erfolg.«
»Ich kann mir das nicht vorstellen: Susanna bei den Kidnappern im Auto, sie schreit und wehrt sich und hat dabei die ganze Zeit den Helm auf dem Kopf.«
»Ich eigentlich auch nicht«, sagte Montalbano.
»Haben Sie denn gar keine Idee, wie die Sache gelaufen sein könnte?«, fragte Francesco halb skeptisch, halb hoffnungsvoll.
Die Jugend von heute! Sie ist voller Vertrauen, und wir tun alles, um sie zu enttäuschen!, dachte der Commissario.
Um seine Rührung zu verbergen (war das vielleicht gar keine Folge seiner Verletzung, sondern der Beginn einer senilen Verblödung?), beugte er sich über eine geöffnete Schublade und studierte ein paar Unterlagen.
Er fuhr erst fort, als er ganz sicher war, dass seine Stimme wieder fest klang.
»Da sind zu viele Dinge, auf die wir uns noch keinen Reim machen können. Das Wichtigste: Warum hat Susanna einen Weg nach Hause genommen, den sie vorher nie gefahren war?«
»Vielleicht wohnt da jemand, den sie …«
»Niemand dort kennt sie. Und keiner der Anwohner hat einen Roller vorbeifahren sehen. Kann sein, dass einer von ihnen nicht die Wahrheit sagt. Der wäre dann für die Entführung mitverantwortlich, und sei es nur als Informant, denn nur er hätte gewusst, dass Susanna an diesem Tag und zu dieser Uhrzeit diesen Weg fahren
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