Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
und er blieb eine Sekunde lang sprachlos.
»Ja bitte?«, wiederholte die männliche Stimme, jetzt nicht nur leicht erzürnt, sondern auch ein bisschen verstimmt. »Hier ist Commissario Montalbano. Ich möchte …«
»Wollen Sie Paola?«
»Ja, wenn es …«
»Ich ruf sie.«
Es vergingen drei stille Minuten.
»Ja bitte?«, sagte eine weibliche Stimme, die der Commissario nicht erkannte.
»Spreche ich mit Professoressa Paola Torrisi?«, fragte er vorsichtshalber und ganz im Zweifel. »Ja, Commissario, ich bin's, ich danke Ihnen, dass Sie mich angerufen haben.«
Aber das war nicht die Stimme vom Abend zuvor! Die hier war ein bisschen heiser, tief, sinnlich, wie von jemandem, der … Und plötzlich begriff er, dass neun Uhr morgens wohl doch nicht die rechte Zeit war, weil die Professoressa an ihrem schulfreien Vormittag offensichtlich anderweitig beschäftigt war.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie gestört habe…«
Ein kurzes Lachen von ihrer Seite.
»Das ist nicht weiter tragisch. Ich möchte Ihnen etwas sagen. Allerdings nicht am Telefon. Können wir uns treffen? Ich könnte beim Kommissariat vorbeikommen.«
»Heute Morgen gehe ich nicht ins Büro. Wir könnten uns am späten Vormittag in Montelusa treffen. Sagen Sie mir, wo.«
Sie verabredeten sich in einem Café, das an der Passeggiata lag. Für mittags. So konnte die Professoressa gemütlich zu Ende bringen, was sie angefangen hatte, als der Anruf sie unterbrochen hatte. Und sich vielleicht sogar eine Wiederholung gestatten.
Und weil er nun schon einmal dabei war, beschloss er, sich dem Gespräch mit Dottor Pasquano zu stellen, das aber lieber per Telefon als von Angesicht zu Angesicht. »Dottore, was haben Sie mir zu erzählen?«
»Was Sie wollen. Entweder Rotkäppchen oder Schneewittchen und die sieben Zwerge.«
»Nein, Dottore, ich meinte …«
»Ich weiß, was Sie meinten. Ich habe schon Tommaseo mitgeteilt, dass ich getan habe, was zu tun war, und dass er morgen den Befund hat.«
»Und ich?«
»Lassen Sie sich von Tommaseo eine Kopie geben.«
»Aber könnte ich denn nicht schon mal…«
»Was? Wissen Sie denn nicht, dass man ihm aus nächster Nähe mitten ins Gesicht geschossen hat? Oder wollen Sie, dass ich Fachbegriffe benutze, von denen Sie nicht die Bohne verstehen? Und außerdem, habe ich Ihnen denn nicht schon gesagt, dass er ihn, obwohl er ihn heraushängen hatte, nicht gebraucht hat?«
»Haben Sie das Geschoss gefunden?«
»Ja. Das hab ich der Spurensicherung übergeben. Es ist durchs linke Auge eingedrungen und hatte eine verheerende Wirkung.«
»Sonst nichts?«
»Wenn ich's Ihnen sage, versprechen Sie mir dann, mir für wenigstens zehn Tage nicht mehr auf den Eiern rumzutrampeln?«
»Ich schwör's.«
»Also, sie haben ihn nicht gleich umgebracht.«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie haben ihm ein großes Taschentuch oder irgendeinen weißen Stofffetzen in den Mund gestopft, um ihn am Schreien zu hindern. Ich habe Fäden von einem weißen Gewebe eingeklemmt zwischen seinen Zähnen gefunden. Ich hab sie der Spurensicherung rübergeschickt. Und nachdem sie auf ihn geschossen hatten, haben sie ihm den Stofffetzen aus dem Mund gezogen und mitgenommen.«
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Die letzte.«
»Wieso haben Sie den Plural benutzt? Glauben Sie, dass der Mörder nicht allein war?«
»Wollen Sie das wirklich wissen? Um Sie ein wenig zu verwirren, mein Bester.«
Ein Aas war er, Pasquano, und es machte ihm Spaß, eins zu sein.
Doch die Sache mit dem gewaltsam in den Mund gestopften Stofffetzen war nicht unerheblich. Es bedeutete, dass der Mord keine spontane Tat war. Ich komme, erschieß dich, gehe wieder. Und Gute Nacht. Nein. Wer auch immer zu Angelo gegangen war, hatte ihm Fragen zu stellen, wollte etwas von ihm wissen. Dafür benötigte er eine gewisse Zeit. Und so hatte er ihn in eine Lage gebracht, in der er zuhören musste, was der andere ihm sagte oder ihn fragte. Den Stofffetzen hätte er ihm erst aus dem Mund gezogen, wenn Angelo bereit gewesen wäre zu antworten.
Und vielleicht hatte Angelo ja auch geantwortet und wurde danach trotzdem umgebracht. Vielleicht hatte er aber auch nicht antworten wollen oder können und wurde deshalb umgebracht. Aber warum hat der Mörder ihm den Stofffetzen nicht im Mund gelassen? Weil er glaubte, die Polizei damit zu verwirren? Oder vielmehr, weil er versucht hatte, die falsche Spur eines Verbrechens aus Leidenschaft zu legen, das, wenn auch durch den Piephahn außerhalb
Weitere Kostenlose Bücher