Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
Verirrung handeln. Aber ich war unnachgiebig. Und hier endet meine Geschichte mit ihm.«
»Sie haben sich nicht mehr gesehen?«
»Nein. Und wir haben auch nie wieder miteinander gesprochen.«
»Sie haben weiterhin eine freundschaftliche Beziehung zu Professor Sclafani unterhalten?«
»Ja. Aber ich habe ihn nicht mehr zum Abendessen eingeladen.«
»Haben Sie ihn nach Angelos Tod wiedergesehen?«
»Ja. Auch heute Vormittag.«
»Wie ist er Ihnen vorgekommen?«
»Durcheinander. «
Montalbano hatte eine derart prompte Antwort nicht erwartet. »Inwiefern?«
»Commissario, denken Sie nichts Falsches. Emilio ist durcheinander, weil seine Frau den Geliebten verloren hat. Das ist alles. Vielleicht hat Elena ihm ja im Vertrauen gesagt, wie sehr sie an Angelo hänge, wie eifersüchtig sie sei…«
»Wer hat Ihnen gesagt, dass sie eifersüchtig sei? Der Professore?«
»Emilio hat mir nie etwas über Elenas Gefühle gegenüber Angelo erzählt.«
»Ich hab's getan«, schaltete sich Michela ein. »Sie hat mir auch eine Zusammenfassung von Elenas Briefen gegeben«, fügte Paola hinzu. »Apropos, haben Sie sie gefunden?«, fragte Michela.
»Nein«, sagte Montalbano und erzählte damit eine Lüge. Er spürte instinktiv und ganz unmittelbar, dass es der Sache umso dienlicher war, je mehr er die Wasser trüben würde. »Ganz sicher hat sie sie verschwinden lassen«, sagte Michela überzeugt.
»Aus welchem Grund denn?«, fragte der Commissario. »Was heißt hier, aus welchem Grund denn?«, schlug Michela zurück. »Diese Briefe sind vielleicht ein Beweis, der sie belasten könnte!«
»Aber schauen Sie doch mal«, sagte Montalbano mit dem allerunschuldigsten Engelsgesicht. »Elena hat zugegeben, sie geschrieben zu haben. Einschließlich der Eifersuchtsanfälle und Todesdrohungen. Wenn sie es schon zugibt, welchen Grund sollte sie da haben, die Briefe verschwinden zu lassen?«
»Worauf warten Sie dann noch?«, sagte Michela und brachte wieder ihre spezielle Stimme zum Vorschein, die mit Schmirgelpapier. »Um was zu tun?«
»Sie zu verhaften!«
»Es gibt da ein Problem. Elena sagt, dass sie die Briefe sozusagen unter Diktat geschrieben habe.«
»Diktat durch wen?«
»Durch Angelo.«
Die beiden Frauen reagierten auf völlig unterschiedliche Weise.
»Die Sau! Dieses niederträchtige Weibsstück! Diese Lügnerin!«, schrie Michela und fuhr aus ihrem Sessel hoch. Paola hingegen versank noch tiefer in ihrem Sessel. »Was hätte Angelo davon gehabt, sich eifersüchtige Briefe schreiben zu lassen?«, fragte sie, mehr neugierig als verwirrt.
»Das hat mir auch Elena nicht erklären können«, sagte Montalbano, und das war noch eine Lüge. »Das hat sie Ihnen nicht erklären können, weil es absolut nicht stimmt!«, schrie Michela beinahe. Vom Schmirgelpapier schien sie auf gefährliche Weise zur Anwendung von Mahlsteinen hinüberzugleiten. Montalbano, der nicht die geringste Lust hatte, einer weiteren Szene aus einer griechischen Tragödie beizuwohnen, dachte, dass er sich für diesen Abend zufriedengeben könnte. »Haben Sie mir die Adressen vorbereitet?«, fragte er Michela.
Sie sah ihn völlig verdattert an.
»Erinnern Sie sich? Die beiden Frauen, eine von ihnen heißt, glaube ich, Stella…«
»Ach, ja. Einen Augenblick.« Sie ging aus dem Zimmer.
Da beugte sich Paola ein wenig vor und sagte leise: »Ich muss mit Ihnen sprechen. Rufen Sie mich morgen früh an? Da habe ich keinen Unterricht. Sie finden mich im Telefonbuch.«
Michela kam mit einem Blatt Papier zurück, das sie dem Commissario reichte.
»Bitte sehr, hier ist die Liste von Angelos verflossenen Liebschaften.«
»Ist darunter auch jemand, den ich nicht kenne?«, fragte Paola.
»Ich glaube, Angelo hat dir keine seiner Liebesgeschichten verheimlicht.«
Montalbano stand auf. Sie gingen zu freundlichen Verabschiedungen über.
Eine derartige Feuchtigkeit war aufgezogen, dass es unmöglich war, länger auf der Veranda zu bleiben, obwohl sie überdacht war. Der Commissario ging hinein und setzte sich an den Tisch. Und ob drinnen oder draußen, das Gehirn funktionierte ja doch. Denn in der Tat fand seit einer halben Stunde in seinem Innern eine lebhafte Debatte über das Thema statt:
»Muss ein echter Polizist sich im Verlauf einer Ermittlung Notizen machen oder nicht?«
Er beispielsweise hatte das noch nie getan. Hinzu kam, dass ihm die, die es taten, gewaltig auf die Nerven gingen. Und damit nicht genug, waren sie auch noch die besseren Polizisten.
So
Weitere Kostenlose Bücher