Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
Obwohl ich nicht im Geringsten scharf darauf bin …«
»Möchtest du das Mädchen sehen?«
»Wenn es dir bei der Identifizierung hilft…«
»Der Schuss, der dieses Mädchen getötet hat, hat ihr praktisch das Gesicht weggerissen. Du würdest sie mit Sicherheit nicht wiedererkennen. Es sei denn … Hör mal, diese Irina, hatte die irgendwelche Merkmale, die dir besonders aufgefallen wären?«
»Wie meinst du das?«
»Schönheitsflecken, Narben …«
»Nicht im Gesicht oder an den Händen. Ob an anderen Körperstellen, wüsste ich nicht zu sagen, ich habe sie ja nie nackt gesehen.«
Es war wohl eine dumme Frage gewesen.
»Warte mal, da fällt mir ein … Sind Kontaktlinsen auch ein besonderes Merkmal?«, fragte Ingrid.
»Wieso fragst du das?«
»Weil Irina welche trug. Eines Tages, weiß ich noch, hatte sie eine verloren, aber wir haben sie wiedergefunden.«
»Kannst du für fünf Minuten mit mir ins Büro kommen? Ich will dir ein Foto zeigen.«
»Das ist jetzt das zweite Mal«, sagte Ingrid, als sie aufstand.
»Inwiefern?«
»Dass wir über eine unbekannte Person sprechen, die Teil deiner Ermittlungen ist und die ich dagegen…«
»Ach ja«, sagte Montalbano missmutig. Ingrid bezog sich auf den Fall, als sie, durch einen zufälligen Blick auf das Foto eines Ertrunkenen, der ihr Liebhaber gewesen war, dem Commissario ermöglicht hatte, den Handel mit kleinen Kindern zu unterbinden. Doch Montalbano erinnerte sich nicht gern an diesen Fall: Er hatte ihm eine Verletzung an der Schulter eingetragen, und was noch wesentlich schlimmer war: Er hatte dabei auch einen Menschen erschießen müssen.
»Ich habe keinen Zweifel, das Tattoo ist das gleiche«, sagte Ingrid und gab das Foto dem Commissario zurück, der es auf den Schreibtisch legte. »Bist du dir da sicher?«
»Absolut sicher.«
Und auf Ingrid konnte man sich verlassen. »Das war schon alles. Ich danke dir.«
Ingrid umarmte ihn fest. Auch Montalbano umarmte sie. Der Moment der Verlegenheit beim Kaffeetrinken war verflogen.
Und natürlich ging genau in diesem Augenblick die Tür auf und Mimi Augello kam herein.
»Störe ich?«, fragte er leicht spöttisch.
»Kein bisschen«, antwortete Ingrid. »Ich wollte gerade gehen.«
»Ich begleite dich«, sagte Montalbano. »Mach dir keine Umstände«, hielt Ingrid ihn zurück und küsste ihn leicht auf die Lippen. »Und halt mich bitte auf dem Laufenden.«
Sie winkte Augello zum Abschied zu und ging hinaus. »Ingrid hat mich noch nie besonders gut leiden können«, sagte Mimi.
»Hast du's bei ihr versucht?«
»Schon, aber…«
»Trag's mit Fassung, nicht alle Frauen sehnen sich danach, in deine männlichen Arme geschlossen zu werden.«
»Was haben wir denn nur heute Morgen? Ein Anfall von Bitterkeit? Sind wir nervös? Ist irgendwas heute Nacht nicht so gelaufen, wie es hätte laufen sollen?«
»Mimi, lass diese völlig unpassenden schwanzgesteuerten Gedanken mal beiseite. Ingrid ist heute Morgen gekommen, weil sie in ›Retelibera‹ die Fotos mit den Tattoos gesehen hatte.«
»Hat Ingrid vielleicht das gleiche? Hast du das überprüft?«
»Hast du eigentlich schon mal gemerkt, Mimi, wie sehr du einem mit deinen schwachsinnigen Anspielungen auf die Eier gehst? Wenn du keine Lust hast, ernsthaft mit mir zu reden, dann verschwinde und schick mir Fazio rein.« Als hätte man ihn gerufen, erschien Fazio. »Kommt rein und setzt euch«, sagte der Commissario. »Zuerst möchte ich wissen, wie die Sache mit Signora Ciccina Picarella ausgegangen ist. Ist sie gestern Abend noch gekommen?«
»Sie ist sozusagen herbeigestürzt«, sagte Augello. »Ich hatte mich schon vorher gewappnet und Gallo und Galluzzo gesagt, sie sollten sich in der Nähe aufhalten und gleich einschreiten, sobald Signora Ciccina laut werden würde. Doch stattdessen…«
»Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat sich das Foto angesehen und ist in Gelächter ausgebrochen.«
»Was gab's denn da zu lachen?«
»Sie müsse lachen, hat sie erklärt, weil der Typ auf dem Foto mit Sicherheit nicht ihr Mann sei, sondern jemand, der ihm zum Verwechseln ähnlich sehe, ein Doppelgänger. Sie hat sich einfach nicht überzeugen lassen wollen. Und weißt du, Salvo, warum sie das tut?«
»Erleuchte mich, Maestro.«
»Sie verweigert sich der Wirklichkeit wegen einer Überdosis Eifersucht.«
»Maestro, wie kommen Sie nur zu derart tiefgründigen Einsichten! Gebrauchen Sie dazu Sauerstoffflaschen oder tauchen Sie ab?«
»Salvo, wenn du das Arschloch
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