Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
an.«
»Ich versteh nicht.«
»Salvo, du willst vom Thema ablenken und versuchst, meine Neugier anzustacheln. Aber ich beiße nicht an. Davon abgesehen bist du ein miserabler Lügner, ich kenne dich einfach schon zu lange. Also, was ist los mit dir?«
»Nichts.«
Diesmal war es Ingrid, die aufs Neue die Gläser füllte. Sie tranken.
»Wie geht's Livia?«
Sie war zum Frontalangriff übergegangen. »Gut, glaube ich.«
»Verstehe. Willst du darüber reden?«
»Vielleicht später.«
Die Luft war so salzig, dass sie in der Lunge prickelte und sie tief durchatmen ließ. »Ist dir kalt?«
»Alles bestens«, antwortete Ingrid.
Sie schob ihren Arm unter seinen, drückte ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»… kurz gesagt, es war schließlich Ende August, als sie sich endlich herabließ, mich zurückzurufen. Glaub mir, ich habe bestimmt einen Monat lang jeden Tag versucht, sie zu erreichen. Irgendwann habe ich mir auch ernsthaft Sorgen gemacht. Livia sagte mir, dass auch sie mehrmals versucht hätte, mich von Massimilianos Boot aus anzurufen, aber ihr Handy hätte kein Netz gehabt, weil sie auf dem offenen Meer waren. Das glaube ich ihr aber nicht.«
»Warum nicht?«
»Was soll denn das gewesen sein? Eine Weltreise ohne Zwischenstopp? Ohne die Möglichkeit, mal kurz irgendwo anzulegen und zu telefonieren? Also wirklich! Und so kam es zum Eklat, als wir uns endlich sahen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, glaube ich, dass ich ein bisschen aggressiv war.«
»Da ich dich kenne, würde ich ›ein bisschen‹ streichen.«
»Also gut. Aber es hat gewirkt. Sie hat mir gesagt, dass da etwas zwischen ihr und …«
»… dem Cousin Massimiliano? Nein, sag das nicht!«
»Wenn ich es auch befürchtet hatte. Nein, da war was mit einem gewissen Gianni, einem Freund von Massimiliano, der mit ihnen auf dem Boot war. Sie wollte mir nichts weiter dazu sagen. Hör mal, Ingrid, was bedeutet deiner Meinung nach dieses Da-war-was?«
»Willst du's wirklich wissen?«
»Ja.«
»Wenn eine Frau sagt, da war was mit einem Mann, bedeutet das, dass da alles war.«
»Ah.«
Er leerte sein Glas und füllte es gleich wieder. Ingrid tat es ihm gleich.
»Salvo, jetzt sag bloß nicht, dass du so naiv bist und nicht von selbst darauf gekommen wärst.«
»Nein, darauf bin ich sofort gekommen. Ich wollte nur, dass du es mir noch mal bestätigst. Und da habe ich mit Kaliber elf zurückgeschossen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich habe ihr gesagt, dass auch ich während des Sommers nicht die Hände in den Schoß gelegt hätte.« Ingrid zuckte zusammen. »Ist das wahr?!«
»Ja, ist es.«
»Du?!«
»Ja, ich - leider.«
»Und wo hast du deine Hände gehabt?«
»Ich habe eine Frau kennengelernt, die wesentlich jünger war als ich. Zweiundzwanzig. Ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte.«
»Warst du mit ihr, du weißt schon …«
Montalbano ärgerte sich ein wenig über die Art der Frage.
»Für mich war das eine sehr ernste Sache. Und ich habe wirklich darunter gelitten.«
»In Ordnung, aber inmitten dieses Meers aus Tränen und Reue wirst du doch wohl auch mit ihr geschlafen haben. Oder etwa nicht?«
»Ja.«
Ingrid schloss ihn in die Arme, richtete sich ein wenig auf und küsste ihn auf die Lippen. »Willkommen im Club der Sünder, du Arsch.«
»Warum nennst du mich Arsch?«
»Weil du Livia von dieser senilen Verliebtheit erzählt hast.«
»Das war keine Verliebtheit, sondern etwas viel viel…«
»Noch schlimmer.«
»Aber im Grunde ist Livia mir gegenüber loyal gewesen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt! Da konnte ich ihr doch nicht verschweigen, dass ich ebenfalls …«
»Also, wirklich, Salvo! Jetzt tu doch nicht so scheinheilig, du kriegst es nämlich nicht mal gut hin. Du hast Livia doch nicht aus Loyalität von der Vögelei mit dem jungen Mädchen erzählt, sondern um ihr etwas heimzuzahlen. Und ich sag dir noch was: Livias Schweigen hat dich eifersüchtig gemacht und möglicherweise mit dazu beigetragen, dass du mit dem Mädchen gevögelt hast. Daher wiederhole ich es noch einmal mit Nachdruck: Du bist ein Arsch.«
»Versteh doch, Ingrid, die Geschichte mit Adriana - so heißt sie - war eine komplexe Angelegenheit. Was geschehen ist, verlief mehr oder weniger nach ihrem Willen, weil sie dabei nämlich ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt hat.«
»Bist du am Sonntag zur Messe gegangen?«
»Was hat denn die Messe damit zu tun?«
»Weil du wie ein richtiger Katholik denkst! Für euch Katholiken
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