Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
war auch nicht da. Hast du eine Idee, wo ich ihn finden könnte?«
»Nein, Dutturi. Aber vielleicht, wenn ich mit ei'm hier drinnen rede … Hier sitzen zwei von Peppis Freunden … Wenn ich was weiß, sag ich Bescheid.«
Als er ins Kommissariat kam, war schon Mittag vorbei; der Verkehr auf der Straße dorthin hatte ihm den letzten Nerv geraubt. Sobald Catarella ihn sah, hob er mit einer Klage an wie der Chor in einer griechischen Tragödie. »Ah, Dottori, Dottori!«
»Warte. Ist Fazio da?«
»Noch nicht. Ah, Dottori, Dottori!«
»Warte. Und Augello ?«
»Der auch nicht. Ah, Dottori, Dottori!«
»Herrje, was für ein Theater, Catare. Was ist denn?«
»Der Signori e Questori rief an! Zweimal schon hat er angerufen! Völlig außer sich war er. Und beim zweiten Mal noch äußerer als beim ersten Mal!«
»Was will er denn?«
»Er sagte, dass Sie alles stehen und liegen lassen sollen und sofort ganz dringend zu ihm kommen sollen. Santa Maria, Dottori, wie der geschrien hat! Bei allem gebotenen Respekt für den Signori e Questori, der wirkte völlig wie von Sinnen!«
Was konnte er nur gemacht haben, dass der Questore so wütend war? Ihm kam ein furchterregender Gedanke: Sollte sich gar herausgestellt haben, dass Picarella tatsächlich entführt worden war?
»Tu mir den Gefallen und ruf Fazio auf seinem Handy an. Und dann stellst du mir den Anruf ins Büro durch.«
»Ah, Dottori, Dottori! Aber wenn Sie sich nicht unverzüglicherweise einfinden, der Signori e Questori…«
»Catare, tu, was ich dir gesagt habe.« Kaum hatte er sich gesetzt, klingelte das Telefon. »Fazio, wo bist du?«
»In Montelusa, Dottore. Wegen der Angelegenheit, um die ich mich kümmern sollte.«
»Hast du was über die Mirabilis herausgefunden?«
»Das erzähle ich Ihnen später.«
Also hatte er etwas herausgefunden.
»Hör zu, Fazio, ich bin zum Questore einbestellt worden, und da möchte ich nicht, dass… Gibt's was Neues im Entführungsfall Picarella?«
»Was sollte es denn da Neues geben, Dottore?«
»Wir sehen uns um vier.« Er beendete das Gespräch.
»Catarella? Ruf Dottor Augello auf seinem Handy an.«
»Unverzüglich gleich, Dottori. Zählen Sie bis fünf, ah, da ist er schon, ich stelle ihn durch.«
»Mimi, wo bist du?«
»In Monterago. Ich hab mir die Möbelfabrik angesehen.«
»Irgendwas gefunden?«
»Überhaupt nichts. Hier machen sie Möbel ohne Vergoldungen. Ziemlich abscheuliche übrigens.«
»Weißt du zufällig, ob es im Fall Picarella was Neues gibt?«
»Wieso sollte es da was Neues geben?«
»Wir sehen uns um vier.«
Er brach auf, setzte sich fluchend in sein Auto und fuhr wieder nach Montelusa. Ein Glück, dass der Tag weiterhin schön war, es gab nicht eine einzige Wolke.
«Buongiorno, Montalbano.«
»Buongiorno, Dottor Lattes.«
Wie war es möglich, dass er jedes Mal, wenn er in die Questura ging, als Ersten Dottor Lattes traf? »Wie geht's der Familie?«
Lattes, der Kabinettschef des Questore, hatte seit langem die fixe Idee, Montalbano sei verheiratet und habe Kinder, und es gab keine Mittel und Wege, ihn davon abzubringen. Daher konnte Montalbanos Antwort auch nur lauten: »Alles bestens, der Madonna sei Dank.«
Lattes sagte nichts. Eigentlich war »der Madonna sei Dank« eine Formulierung ganz nach seinem Geschmack. Weshalb also schloss er sich diesem Dank dann nicht an, wie er es sonst immer tat? Und warum hatte er nicht, wie sonst, »Teuerster« zu ihm gesagt? Montalbano fiel mit einem Mal auf, dass Lattes weniger mitteilsam war als gewöhnlich. Ihm kam der Verdacht, dass diese Haltung etwas mit seiner Einbesteilung zum Polizeipräsidenten zu tun haben konnte. »Wissen Sie den Grund, weshalb …«
»Ich bin nicht informiert.«
Für den Herrn Kabinettschef eine verdammt prompte Antwort. Vielleicht lohnte es sich ja, weiter zu bohren. »Ich fürchte, dass ich einen Fehler gemacht habe«, murmelte er und sah zerknirscht drein. »Das fürchte ich auch.« Strenger Ton.
»Dann wissen Sie etwas und wollen es mir nicht sagen! Dottor Lattes, ist es etwas Schlimmes?« Dottor Lattes senkte den Kopf zum Zeichen der Bestätigung. Montalbano fuhr fort mit seinem dramatischen Theater. »O mein Gott! Ich darf doch meinen Arbeitsplatz nicht verlieren! Ich muss eine Familie ernähren! Eine richtige Familie! Mit vielen Kindern! Nicht irgend so eine Lebensgemeinschaft, wie das heute Mode ist!« Dottor Lattes blickte sich vorsichtig um, der Pförtner las die Zeitung, im Vorzimmer waren nur sie beide.
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