Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
»Hören Sie mir zu«, sagte er barsch. »Es scheint so, als hätten Sie…«
In diesem Augenblick öffnete der Signor Questore die Tür seines Büros.
»Wo bleibt denn nur dieser …«
Lattes reagierte instinktiv. Er deutete mit beiden Händen auf Montalbano, der dem Questore gegenüberstand, und machte gleichzeitig einen Satz zurück, um Distanz zwischen sich und dem Commissario zu schaffen. Was war er denn, ein Pestkranker? »Hier ist er!«, rief er.
»Das sehe ich. Kommen Sie rein, Montalbano.«
»Brauchen Sie mich?«, fragte Lattes. »Nein!«
Die Tür schloss sich hinter dem Commissario mit dem dumpfen Schlag eines Sargdeckels.
Elf
Es musste um etwas sehr Ernstes gehen, und daher war es das Beste, sich keine Scherze mit Bonetti-Alderighi zu erlauben und auch der Versuchung zu widerstehen, auf Konfrontation zu gehen, die am Ende in einen handfesten Streit ausarten würde.
Der Questore begab sich hinter seinen Schreibtisch und setzte sich in seinen Sessel, ohne Montalbano anzubieten, ebenfalls Platz zu nehmen. Was den Ernst der Lage nur bestätigte.
Bonetti-Alderighi blieb an die fünf Minuten so sitzen und schaute den Commissario an, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen, und diese Musterung endete in einem untröstlichen »Na ja!«. Montalbano verwandte die Hälfte seiner Energie darauf, regungslos und schweigend dazustehen und nicht zu explodieren.
»Wollen Sie mir mal erklären, wie Sie auf gewisse Gedanken kommen?«, fing der Questore endlich an. Auf welche Gedanken bezog er sich? Vorsichtshalber trat er am besten gleich die Flucht nach vorn an. »Schauen Sie, Signor Questore, wenn Sie mit mir über die sogenannte Entführung von Picarella sprechen wollen, übernehme ich die …«
»Die Entführung von Picarella kümmert mich einen Scheißdreck. Wir werden noch Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, seien Sie unbesorgt.« Was denn dann? Plötzlich fiel ihm wieder dieser blödsinnige Fall Piccolo ein, auf den er in gereimten Versen geantwortet hatte. War der Questore womöglich vom Heiligen Geist erleuchtet worden und hatte nun doch verstanden, dass es sich um eine Fopperei in Versen handelte? »Ach ja, verstehe. Sie beziehen sich auf diese Sache, die ich schriftlich angemerkt hatte, dass Vigàta nicht Licata ist und Licata nicht Vigàta…« Der Questore riss die Augen weit auf. »Sind Sie wahnsinnig? Was ist das denn für eine Geschichte? Ich weiß sehr wohl, dass Vigàta nicht Licata ist und Licata nicht Vigàta! Halten Sie mich etwa für einen Idioten? Hören Sie, Montalbano, fangen Sie jetzt bloß nicht wieder an, den naiven Trottel zu spielen, denn diesmal, das versichere ich Ihnen, ist das überhaupt nicht angebracht!« Der Commissario gab sich geschlagen. »Dann sagen Sie es mir!«
»Darauf können Sie sich verlassen, dass ich Ihnen das sage! Und wie ich es Ihnen sage! Erklären Sie es mir, ich bitte Sie. Würden Sie mich darüber aufklären, welchen besonderen Genuss, welch erhabene Wonne es Ihnen bereitet, sich und mich in Schwierigkeiten zu bringen?«
»Weder Genuss noch Wonne, nicht im Mindesten, glauben Sie mir. Ich versichere Ihnen, dass ich in einem solchen Fall nicht vorsätzlich handle.«
»Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie es nicht absichtlich tun?«
»Genau das.«
»Aber das ist ja noch schlimmer!«
»Wieso?«
»Weil es bedeutet, dass Sie unvernünftig handeln, ohne Urteilsvermögen, ohne die Folgen Ihres Tuns abschätzen zu können!«
Ruhig, Montalbano, ganz ruhig. Du zählst bis drei und danach redest du. Besser noch, du zählst bis zehn. »Haben Sie die Sprache verloren?«
»Was habe ich eigentlich verbrochen?«
»Was Sie verbrochen haben?«
»Ja, was habe ich verbrochen?«
»Erklären Sie mir, warum Sie zu den Leuten vom ›Guten Willen‹ gegangen sind und denen gewaltig auf den Sack geschlagen haben? Warum? Wären Sie vielleicht so gütig, mir das zu erklären?« Das also war das große Geheimnis. Aber wie schnell der Cavaliere Guglielmo Piro doch zu dem Zuständigen gelaufen war, um sich zu beklagen! Wenn der Cavaliere sich jedoch so eilfertig absichern wollte, wetten, dass er da das richtige Gespür gehabt hatte, als er den Geruch von Verbranntem witterte?
»Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wer alles hinter diesem Verein steht?«, fuhr der Questore fort. »Nein, aber ich kann es mir lebhaft vorstellen. Hat Monsignor Pisicchio Sie angerufen?«
»Nicht nur der Monsignore. Auch der Prefetto, dessen Gattin großzügig zu den Initiativen
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