Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
sagte.
»Willst du das wirklich?«
»Steig einfach morgen ins Flugzeug. Ich hole dich vom Flughafen ab. Los, mach schon, denk nicht lange darüber nach.«
»Wäre es nicht besser, noch etwas zu warten?«
»Worauf zu warten?«
»Bis du den Fall gelöst hast, an dem du gerade arbeitest. Ich glaube nicht, dass du viel Zeit für mich hättest, wenn ich morgen kommen würde.«
»Ich lasse alles stehen und liegen.«
»Salvo, du weißst doch, dass du das gar nicht aushalten könntest. Du würdest anfangen, nach Ausreden zu suchen, die ich momentan einfach nicht ertragen könnte.«
»Ich verspreche dir, dass…«
»Die kenne ich doch schon, deine Versprechungen.«
Montalbano dachte: Das sind genau die Worte, vor denen ich mich gefürchtet habe. Jetzt fängt wieder der übliche Streit an. Doch stattdessen fügte Livia hinzu:
»Und außerdem glaube ich nicht, dass wir uns ernsthaft über uns unterhalten könnten, wenn wir uns immer nur zwischen Tür und Angel sehen. Dazu müssen wir uns in die Augen schauen, und zwar ohne jeden Zeitdruck.«
Sie hatte recht.
»Also, was machen wir?«
»Machen wir es doch so: Sobald du weißt, dass du wirklich ein paar Tage freihast, rufst du mich an, und dann komme ich. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Also, bis bald.«
»Bis bald.«
»Schlaf gut.«
»Du auch.«
»Ich … denke an dich.«
Und die Verbindung brach ab. Montalbano hatte das deutliche Gefühl, dass Livia ihm noch »Ich liebe dich« hatte sagen wollen, dass die Scham sie aber daran gehindert hatte. Die tiefe Rührung darüber schnürte ihm die Luft ab. Er lief zur Veranda, hielt sich am Geländer fest und atmete tief ein. Dann setzte er sich hin und legte seinen Kopf auf die gekreuzten Arme.
In Livias Stimme hatte ein Klang von solch tiefer Traurigkeit gelegen, dass er sich ganz elend fühlte. Nur ein einziges Mal bisher hatte er diesen Klang bei ihr wahrgenommen: als sie über das Kind gesprochen hatten, das sie nun nicht mehr haben konnten.
Er schlief schlecht, das übliche Hin- und Hergewälze, das übliche Aufstehen und wieder Hinlegen, das übliche Lichteinschalten und Lichtausschalten, um die Zeiger der Uhr zu sehen, die sich langsamer zu drehen schienen. Endlich sah er das Licht eines hell heraufdämmernden Tages durch das Fenster einfallen.
Hoffnungsvoll stand er auf, es war ja möglich, dass der Fischer sich in der Dauer des schlechten Wetters getäuscht hatte. Und genauso war es, der Himmel war klar, die Luft frisch und rein. Das Meer hatte sich noch nicht beruhigt, aber es war auch wiederum nicht so aufgewühlt, dass es die Fischerboote daran gehindert hätte, zum Fischen hinauszufahren. Er fühlte sich getröstet bei dem Gedanken, dass er bei Enzo endlich wieder frischen Fisch bekommen würde.
Und zwar derart getröstet, dass er sich noch mal hinlegte und drei Stunden schlief, um den verlorenen Schlaf nachzuholen.
Als er das Haus verließ, beschloss er, nicht ins Kommissariat zu gehen, sondern gleich zum Gefängnis zu fahren, das ein paar Kilometer außerhalb von Montelusa lag. Er hatte zwar keine Genehmigung, mit dem Häftling zu reden, vertraute aber auf die gute Freundschaft mit der Leiterin des Jugendgefängnisses, einer Person, mit der man reden konnte.
Und in der Tat waren so gut wie keine Formalitäten erforderlich, um Pasquale, Adelinas Sohn, in einem kleinen Zimmer direkt gegenüberzusitzen. »Wann bekommst du denn nun endlich Hausarrest?«
»'ne Frage von Tagen. Es heißt, der Richter muss darüber nachdenken. Aber worüber muss er nachdenken? Über seine Hörner? Ich könnt einfach nich mehr länger warten, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen sagen muss.«
»Was musst du mir denn sagen?«
»Dutturi, ich leg's Ihnen ans Herz: Auch wenn ich mit Ihnen hier drinn' bin, hab ich nie mit Ihnen geredet. Hab ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Vollkommen.«
»Das heißt, Sie haben Pasquale Cirrinciò nie im Gefängnis getroffen. Ich will nich, dass es heißt, ich war 'n Verräterschwein.«
»Ich geb dir mein Wort.«
»Haben Sie das Mädchen, das auf der Müllkippe ermordet wurde, identifiziert?«
»Leider noch nicht.«
Pasquale dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Neulich, als ich Fernsehen geschaut hab, wurden zwei Fotos gezeigt.«
Montalbano spitzte augenblicklich die Ohren - alles hatte er erwartet, aber nicht, dass Pasquales Bitte zu kommen mit der Ermittlung zu tun hatte, die er durchführte. »Redest du über das Schmetterlingstattoo?«
»Genau.«
»Hast du so
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