Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
ich, Catare? 'n Schmetterling eben.«
»Bin gleich wieder da, Dottori.« Fazio kam. Er trat ein und setzte sich. »Und, was gibt's Neues?«
»Dottor Pasquano ist der Überzeugung, dass das Mädchen …«
»… an einem anderen Ort umgebracht worden ist, ich weiß, Augello hat's mir schon gesagt. Und was hältst du davon?«
»Ich bin der gleichen Ansicht. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass das Mädchen erst nackt ausgezogen wurde, nachdem man es umgebracht hatte.«
»Wie bist du darauf gekommen?«
»Wenn sie in nacktem Zustand ermordet worden wäre, hätte das Blut ihr den Brustkorb verschmiert, wie auch die Schultern und die Brüste. Aber alles war sauber. Und bedenken Sie, dass es seit einer Woche nicht regnet.«
»Verstehe. Das Blut gelangte auf die Kleider, die sie in diesem Augenblick trug, und nicht auf die Haut.«
»Genau, Dottore. Und ihr Körper hatte Hautabschürfungen, Blutergüsse und Platzwunden. Die rühren daher, dass sie nackt hinuntergeworfen wurde. Wäre sie bekleidet gewesen, hätte sie weniger Verletzungen davongetragen. Außerdem ist sie gebissen worden.«
Montalbano sprang von seinem Stuhl auf. Er fühlte, wie sein Magen sich vor Ekel zusammenzog.
»Was heißt gebissen?! Und wo?«
»Sie hat drei Bisswunden am rechten Schenkel. Doch Dottor Pasquano wollte mir darüber noch nichts sagen, er will sie erst gründlich untersuchen. Er weiß nicht, ob die Bisse von einem Menschen stammen oder von einem Tier.«
»Hoffen wir, dass sie von einem Tier sind.« Ein Mörder, der zugleich ein Werwolf war, hatte gerade noch gefehlt! Eine Bestie in Menschengestalt! »Hat er dir gesagt, wann er die Obduktion durchführt?«
»Morgen, in aller Frühe.«
Mit einem Blatt in der Hand und völlig außer Atem kam Catarella herein.
»Nur eine einzige Zwanzigjährige habe ich in der Liste gefunden. Das Foto habe ich ausgedruckt. In der Vermisstenanzeige steht aber nichts von Schmetterlingen.«
»Gib's Fazio.«
Fazio nahm das Blatt, betrachtete es und gab es Catarella zurück.
»Das ist nicht die Tote.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«, fragte der Commissario. »Die hier ist braunhaarig, die andere war blond.«
»Kann die Dunkelhaarige sich nicht die Haare gebleicht haben?«
»Also wirklich, Dottore.» Catarella ging enttäuscht hinaus.
»Ich weiß nicht, wieso, aber ich glaube nicht, dass das Mädchen eine Hure war«, sagte Fazio.
»Heutzutage ist es ziemlich schwierig zu sagen, wer eine Hure ist«, sagte Montalbano. Fazio sah ihn verblüfft an.
»Nicht nur heutzutage, Dottore, sondern von jeher ist eine Hure eine Frau gewesen, die ihren Körper gegen Geld verkauft.«
»Viel zu einfach, Fazio.«
»Dann erklären Sie das mal genauer.«
»Ich nenne dir ein Beispiel. Stell dir eine Zwanzigjährige vor, sehr hübsch, aus ärmlichen Verhältnissen. Man bietet ihr an, in Filmen mitzuspielen, doch sie lehnt das ab, weil sie ehrlich und anständig ist und Angst hat, dass dieses Umfeld sie verderben könnte. Irgendwann begegnet sie einem fünfzigjährigen, ziemlich unattraktiven Industriellen, der sie heiraten möchte. Das Mädchen willigt ein. Sie liebt diesen Mann nicht, er gefällt ihr nicht und der Altersunterschied ist zu groß, doch sie denkt, dass sie ihn mit der Zeit lieb gewinnen könnte. Die beiden heiraten, und sie ist ihm eine untadelige Gattin. Was besagt das nun nach deiner Definition? Hat das Mädchen, als es dem Industriellen sein Jawort gab, nicht auch seinen Körper gegen Geld verkauft? Sicherlich. Aber würdest du sie deshalb gleich als Hure bezeichnen?«
»Heilige Madonna, Dottore! Da traut man sich mal, einen Gedanken zum Ausdruck zu bringen, und Sie machen gleich einen ganzen Roman daraus!«
»Schon gut, lassen wir das. Wieso glaubst du, dass sie keine Professionelle war?«
»Na ja. Sie hatte keine rot geschminkten Lippen. Sie trug kein Make-up. Sie war zwar gepflegt und sauber, das schon, aber nicht übertrieben … Keine Ahnung, was soll ich Ihnen sagen, ich hatte eben diesen Eindruck. Und jetzt tun Sie mir den Gefallen und machen Sie aus diesem Eindruck nicht noch einen Roman.«
»Weißt du, wann die Spurensicherung uns die Fotos schickt?«
»Heute, nach dem Mittagessen.«
»Dann kann ich ja jetzt gehen. Bis später.«
Als er zur Trattoria kam, waren die Rollläden zur Hälfte heruntergelassen. Er bückte sich und ging hinein. Die Tische waren zwar alle gedeckt, aber keine Menschenseele war da. Aus der Küche duftete es nicht. Enzo, der Wirt und Besitzer, saß
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