Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
gelassen? Habe ich dir nicht weitere Zuständigkeiten eingeräumt? Worüber beklagst du dich?«
»Stimmt. Früher hast du dich in alles eingemischt und bist allen auf die Nerven gegangen. Das ist jetzt seltener geworden. Und du hast mich oft die Ermittlungen führen lassen.«
»Ja, und?«
»Stimmt, ja, aber um was ging’s denn da? Doch hauptsächlich um Kleinkram. Die Diebstähle im Supermarkt, der bewaffnete Raubüberfall auf das Postamt …«
»Und der Mord an Dottor Calì?«
»Der?! Als wir dort ankamen, stand Signora Calì doch noch mit dem rauchenden Revolver in der Hand da! Tolle Ermittlung! Aber das hier ist was anderes. Der Tote im Müllsack ist eine von den Geschichten, bei denen man wieder richtig Lust auf die Arbeit bekommt.«
»Und weiter?«
»Ich will nicht, dass, wenn du mir die Ermittlung überträgst, du sie mir irgendwann aus der Hand nimmst. Klare Absprachen, einverstanden?«
»Mir gefällt nicht, wie du mit mir redest, Mimì.«
»Schönen Tag noch, Salvo«, sagte Augello, kehrte ihm den Rücken zu und verließ das Zimmer.
Was war nur mit Mimì los? Seit mindestens einem Monat wirkte er so gereizt. Angespannt, allzeit bereit, sich wegen eines halben Worts zu streiten, das ihm zu viel schien, oftmals schweigsam. Man sah, dass er manchmal gar nicht bei der Sache war und seinen eigenen Gedanken nachhing. Es war offensichtlich, dass irgendetwas an ihm nagte. Vielleicht hatte es mit seiner Ehe mit Beba zu tun? Aber in der ersten Zeit nach der Geburt seines kleinen Sohnes hatte er doch so glücklich und zufrieden gewirkt! Sicher würde Livia ihm die eine oder andere Information liefern können. Sie und Beba waren ja gute Freundinnen und telefonierten oft miteinander.
Er verließ das Kommissariat und machte sich auf den Weg zu Enzos Trattoria. Doch auf der Fahrt dorthin wurde ihm klar, dass das Gespräch mit Mimì ihm den Appetit verdorben hatte, und er fuhr nach Hause. Sie hatten zwar auch schon bei anderen Gelegenheiten diskutiert, sicher, und manches Mal waren sie wirklich heftig aneinandergeraten, doch dieses Mal hatte er aus Mimìs Worten etwas anderes herausgehört. Die eigentliche Absicht hinter Augellos Worten war nicht, jetzt festzulegen, wer die Ermittlung durchführen sollte. Nein, das Ziel war ein anderes: Mimì wollte ihn provozieren, einen Streit vom Zaun brechen, sich fetzen. Wie er es tags zuvor mit Ajena gemacht hatte. Er suchte nach einem Ventil, um Dampf abzulassen. Er suchte einen Vorwand, um all den Frust abzureagieren, den er in sich trug.
In Marinella setzte Montalbano sich auf die Veranda und genoss die Sonne nach Eidechsenart.
Bevor er am Nachmittag ins Kommissariat zurückkehrte, rief er Catarella an.
»Hat Dottor Pasquano vielleicht versucht, mich zu erreichen?«
»Nein, Dottori.«
Er legte auf und wählte eine andere Nummer.
»Montalbano hier. Ist Dottor Pasquano da?«
»Da ist er schon, Commissario. Aber ich weiß nicht, ob ich ihn ans Telefon bekomme, er ist gerade beschäftigt.«
»Versuchen Sie’s.«
Er wartete und ging dabei das Siebener-Einmaleins durch, das für ihn das schwierigste war.
»Was sind Sie bloß für eine Nervensäge, Commissario! Was zum Teufel wollen Sie denn jetzt schon wieder?«, legte Pasquano mit der sanften Liebenswürdigkeit los, die ihn auszeichnete.
»Haben Sie die Leiche schon obduziert?«
»Welche denn? Die von der Kleinen mit der durchgeschnittenen Kehle? Die von dem ersoffenen Marokkaner? Die von dem erschossenen Bauern? Die von dem …«
»Die von dem zerstückelten Mann im Müllsack.«
»Ja.«
»Könnten Sie mir …«
»Nein.«
»Und wenn ich in einer halben Stunde bei Ihnen vorbeikommen würde?«
»Sagen wir, in einer guten Stunde.«
Als er ankam und nach Pasquano fragte, antwortete ihm ein Mitarbeiter, dass Dottor Pasquano noch beschäftigt sei und Anweisung gegeben hätte, er solle in seinem Büro auf ihn warten.
Das Erste, was der Commissario auf Pasquanos Schreibtisch inmitten von Papieren und Fotos von Ermordeten entdeckte, war ein Papptablett mit riesigen Cannoli und eine Flasche Passito von Pantelleria, eine Trockenbeerenauslese, und ein Glas daneben. Es war allgemein bekannt, dass Pasquano ein großer Liebhaber von sizilianischem Gebäck war. Montalbano bückte sich, um den Duft der Cannoli einzusaugen: Sie waren ganz frisch. Da goss er sich ein bisschen von dem Passito ins Glas, griff nach einem Cannolo und machte sich daran, es zu verputzen, während er durch das offen stehende Fenster die
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