Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
für eine Strafe du jetzt dafür verdienst?«
Fazio wirkte völlig verdattert.
»Wieso wollen Sie mich strafen, Dottori?«
»Wegen der ungeheuren Menge vergeudeter Wörter. Weißt du denn nicht, dass die Vergeudung von Wörtern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist? Du hättest doch einfach sagen können: ›Keine der als vermisst gemeldeten Personen entspricht dem Toten im Müllsack.‹ Du hättest das Ganze zusammengefasst, und wir hätten beide gewonnen: du Atem und ich Zeit. Meinst du nicht?«
Fazio schüttelte den Kopf.
»Mit Verlaub, nein.«
»Und warum?«
»Verehrter Dottore, eine Zusammenfassung, wie Sie meinen, vermittelt niemals eine Vorstellung von der vielen Arbeit, die notwendig ist, um zu dieser Zusammenfassung zu gelangen.«
»Einverstanden, ich gebe mich geschlagen. Und die zweite Sache?«
»Wissen Sie noch, dass ich, als ich Ihnen die Informationen zu Dolores Alfano mitgeteilt habe, sagte, dass ich mich an ein Detail nicht erinnern könnte, das mir jemand genannt hatte?«
»Ja. Ist es dir inzwischen eingefallen?«
»Unter denen, mit denen ich gesprochen hatte, war auch ein alter Geschäftsmann im Ruhestand. Der war es, der mir gesagt hat, dass Giovanni Alfano, der Ehemann von Dolores, der Sohn von Filippo Alfano ist.«
»Na und?«
»Als er mir das gesagt hat, habe ich nicht weiter drauf geachtet. Das ist eine Angelegenheit, die auf die Zeit vor Ihrer Ankunft in diesem Kommissariat zurückgeht. Dieser Filippo Alfano war nämlich ein ganz großes Kaliber der Sinagra-Familie. Außerdem war er um ein paar Ecken mit ihnen verwandt.«
»Auweia!!!«
Die Sinagras: eine der beiden alteingesessenen Mafiafamilien in Vigàta. Die andere waren die Cuffaros.
»Irgendwann verschwand dieser Filippo Alfano und tauchte in Kolumbien wieder auf, zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn Giovanni, der damals noch keine fünfzehn war. Sicher, Filippo Alfano war damals nicht legal ausgereist, er hatte keinen Pass, und es lagen drei Haftbefehle gegen ihn vor, bei denen es nicht um Kleinigkeiten ging. Im Ort hieß es, dass die Sinagras ihn fortgeschickt hätten, um ihre Interessen bei ihren Verbindungsleuten in Bogotà wahrzunehmen. Dann, nachdem Filippo Alfano schon eine ganze Weile dort war, wurde er erschossen. Man hat nie erfahren, von wem. Und das ist so weit alles.«
»Was bedeutet: ›Und das ist so weit alles‹?«
»Dottore, das bedeutet, dass die Angelegenheit hier ihr Ende hat. Giovanni Alfano, der Ehemann von Signora Dolores, arbeitet als Offizier auf Frachtschiffen, und es gibt rein gar nichts, was man ihm zur Last legen könnte. Müssen denn die Kinder von Mafialeuten ebenso Mafiosi sein wie ihre Väter?«
»Nein. Und weil Giovanni Alfano sauber ist, kann der Versuch, seine Frau umzufahren, weder ein Racheakt infolge eines Bandenkriegs unter den Mafiafamilien sein noch eine Warnung. Wahrscheinlich handelte es sich doch um einen üblen Streich oder um die übermütige Aktion eines Betrunkenen. Bist du der gleichen Meinung?«
»Durchaus.«
Er erwog gerade, das Kommissariat zu verlassen, um nach Marinella zu fahren, sich umzuziehen und danach Ingrid zu treffen, als er die Stimme Galluzzos vernahm, der ihn um Erlaubnis bat einzutreten.
»Komm rein, mach schon.«
Galluzzo trat ein und schloss die Tür. Er hatte einen Umschlag in der Hand.
»Was gibt’s denn?«
»Dottor Augello hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben.«
Er legte den Umschlag auf den Schreibtisch. Das Kuvert war nicht verschlossen. Die mit dem Computer geschriebene Adresse lautete: »An Commissario Dott. Salvo Montalbano persönlich«. Und darunter: »Vertraulich«. Oben links stand: »Von Domenico Augello«.
Montalbano zog den Brief aus dem Umschlag. Er sah Galluzzo an und fragte ihn:
»Ist Dottor Augello noch im Kommissariat?«
»Nein, Dottore, er ist vor einer halben Stunde weggegangen.«
»Warum hast du eine halbe Stunde gebraucht, um mir diesen Brief zu bringen?«
Galluzzo war ganz offensichtlich verlegen und erwiderte:
»Na ja, das war nicht …«
»Hat er dir gesagt, du sollst eine halbe Stunde warten, bis du ihn mir aushändigst?«
»Nein, Dottore, ich habe all diese Zeit gebraucht, um zu kapieren, was er auf das Blatt geschrieben hatte, das ich für ihn abtippen und dann zu Ihnen bringen sollte. Vieles davon war durchgestrichen, und eine Reihe von Wörtern war schwer zu entziffern. Als ich fertig war, bin ich in sein Büro zurückgegangen, um es von ihm unterschreiben zu lassen, aber er war schon
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