Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
bezeichnen konnte. Pavarotti schauderte, er musste sich bremsen, um sich nicht permanent die Arme, die in einem kurzärmeligen Hemd steckten, zu reiben. Ihm war kalt, trotz der inzwischen recht frühlingshaften Temperaturen draußen. Versuchsweise stieß er den Atem aus. Pavarotti hätte sich nicht gewundert, wenn der warme Luftschwall kondensiert wäre.
Der Raum, in dem er sich befand, war in strahlendem Weiß gehalten. Und zwar komplett, eine andere Farbe gab es nicht, noch nicht einmal Creme, Eierschale, ein helles Karamell oder irgendein stinknormales Beige. Nichts, was einen etwas wärmeren Ton ausstrahlte als dieses, Pavarotti suchte nach der richtigen Beschreibung, Eisweiß, ja das war es. Die Farbe gleißte richtiggehend, mit einem kleinen bläulichen Schimmer darin, als ob der Innenarchitekt jedem Einrichtungsdetail mit liebevoller Kleinarbeit noch ein paar Eiskristalle extra zugesetzt hätte.
Das Zimmer war riesig und nahm, so wie es aussah, fast die gesamte Grundfläche der Villa ein. Den gesamten Boden bedeckte ein knallig weißer und, so weit er sehen konnte, völlig fleckenloser Teppichboden. Pavarotti fand, dass der Bodenbelag giftig aussah, so als würde jedes Staubkorn oder jeder Krümel, der auf ihn fiel, sofort von ihm verschluckt und zu eisweißem Staub verarbeitet.
Er setzte sich auf die weiße Ledercouch. Auf sein etwas verspätetes »Sie erlauben doch?« erhielt er keine Antwort. Nicht dass er eine erwartet hätte.
Das einzige nicht weiße Element im Raum war eine vor dem kristallinen Hintergrund geradezu grotesk gekleidete Frau, die ein rosa-beige kariertes Chanel-Kostüm mit Fransen, massive Goldketten um Hals und Handgelenke und eine verschmierte Kriegsbemalung im Gesicht trug. Greta Niedermeyer war vollauf damit beschäftigt, sich mit einem Tempo-Taschentuch die Augen zu reiben und ihren Lidschatten weiträumig zu verteilen, nur um unmittelbar danach erneut den körpereigenen Wasserhahn aufzudrehen. Und zwar volle Pulle.
Pavarotti wandte den Blick von ihr ab. Von der Frau waren keine Erkenntnisse zu erwarten. Mittlerweile war er überzeugt davon, dass Greta keine Ahnung hatte, wo die kompromittierenden Fotos geblieben waren. Dazu hätte sie eine geradezu überragende Schauspielerin sein müssen. In dem Fall hätte sie sich aber in ihrer Ehe definitiv nicht alles gefallen lassen müssen, sondern wäre in der Lage gewesen, ihren Mann geschickt zu manipulieren. Widerwillig nahm er die Frau, die mitten im Zimmer stand und schluchzte, noch einmal in Augenschein. Ihr einziges Aufbäumen gegen ihren Gatten bestand anscheinend in ihrer grellen Takelage, mit der sie die kunstvolle und bestimmt teure Inszenierung dieser Villa Eisweiß störte. Nein, Greta Niedermeyer war das, was sie auf den ersten Blick zu sein schien: eine kleine, zirkushaft bemalte Maus, panisch vor Angst, die schlimmen, schlimmen Fotos könnten an die Öffentlichkeit gelangen. Und verzweifelt darüber, was aus ihr werden würde, jetzt, nachdem ihr Mann von ihrer Affäre mit Karl Felderer wusste und wegen Mordes an dem bösen, bösen Geliebten im Gefängnis saß. Was für ein Kitschroman. Pavarotti konnte nicht anders, er gluckste.
Da drehte Greta Niedermeyer zu seinem Entsetzen den Ton noch ein wenig lauter und fing zwischen den Heulern auch noch zu stammeln an, dass sie das alles nicht gewollt habe. Immer hektischer holte sie Luft, und ihre rote Gesichtsfarbe bekam einen Stich ins Violette. Pavarotti merkte, dass er etwas unternehmen musste, sonst würde die Frau einen Zusammenbruch erleiden.
Widerwillig stand er auf, baute sich vor der Niedermeyer auf und verpasste ihr eine leichte Ohrfeige.
»Waaa…« Gretas Mund ging auf und blieb offen, ihre Augen stierten ihn fassungslos an, die rechte Hand bewegte sich auf ihre Wange zu, blieb jedoch auf halbem Wege hängen. Wenigstens atmete sie wieder etwas langsamer.
»Entschuldigen Sie, Frau Niedermeyer. Aber bitte nehmen Sie sich zusammen. Ich möchte nicht den Krankenwagen rufen müssen, weil Sie mir umkippen. Wir gehen jetzt noch ein paar Punkte durch.«
Die Niedermeyerin nickte brav. Na also.
»Wo waren Sie und Ihr Mann am Tag des Mordes an Karl Felderer, sagen wir vom späten Nachmittag an bis in die frühen Morgenstunden?«
Aus dem wirren Gestammel entnahm Pavarotti das, was er schon vermutet hatte. Greta Niedermeyer war nachmittags in den Lauben gewesen, um das Geld ihres Mannes auszugeben. Für den frühen Abend und danach hatte sie kein Alibi, sie gab an, die
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