Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
recherchiert haben, werden Sie wissen, dass ich nicht mehr bei der Bank bin«, fuhr Lissie fort. »Ich hatte plötzlich Zeit, und da hab ich vor ein paar Wochen den ganzen alten Kram von meinem Vater noch mal durchgesehen. Auf einmal fielen mir die Briefe an meinen Opa wieder in die Hände. Und jetzt, da ich auf Jobsuche bin, kommt mir dieses pikante Gemisch aus Terror, Verrat und Schuld in dieser Rentner-Idylle hier wie gerufen.«
Lissie gab ihrer Stimme einen entschlossenen und siegessicheren Unterton. »Ich habe nämlich beschlossen, eine neue Karriere als freie Journalistin zu starten. Das Thema eignet sich hervorragend als Einstieg. Übermäßiges historisches Hintergrundwissen brauche ich für die Geschichte nicht, das belastet nur, und ich kann es sowieso nicht verwenden. Die persönlichen Schicksale und die Atmosphäre vor Ort, das ist das Wichtigste. Sie wissen doch, wir Deutschen interessieren uns brennend für Meran. Schließlich fahren wir jedes Jahr in Massen hierher!« Triumphierend setzte sie hinzu: »Und kaum bin ich angekommen, geschieht schon wieder ein Mord! Eine Spur der Gewalt im beschaulichen Südtirol – und das seit sechzig Jahren! Na, was sagen Sie jetzt?«
Kirchrather sagte erst einmal nichts, sondern hatte die Augen geschlossen. Lissie war nun doch verunsichert, ob sie nicht zu stark übertrieben hatte. Der Alte war gerissen. Vermutlich arbeiteten die grauen Zellen in seinem Kopf gerade auf Hochtouren und tasteten ihre Story auf Fehler oder Widersprüche ab. Ob sich dieser Buchhändler in der deutschen Medienszene doch besser auskannte, als sie gehofft hatte? Lissie bezweifelte sehr, dass ein deutsches Magazin ihre Geschichte überhaupt abdrucken würde. Dass es in Südtirol eine Terrorszene im Kleinformat gegeben hatte, wussten nördlich des Brenners heute nur noch wenige. In Deutschland wahrscheinlich kaum jemand. Wen interessierte da noch, wer damals vor fünfzig Jahren wen verpfiffen hatte?
Plötzlich öffnete der Buchhändler wieder die Augen und blaffte sie an. »Warum haben Sie mir das nicht schon beim letzten Mal erzählt?«
»Ja, warum wohl nicht? Terroristen in Meran sind ja wohl kaum förderlich für den Tourismus hier. Ich hatte die Befürchtung, dass die Einheimischen nicht mit mir reden würden, wenn sie mitbekommen, worüber ich schreiben will. Das gilt natürlich auch für Sie. Ich wollte niemanden vorzeitig aufscheuchen, sondern in aller Ruhe recherchieren!«
Kirchrather schwieg wieder. Dann kam ein Überraschungsangriff, auf den Lissie nicht gefasst war. »Was haben Sie eigentlich mit dem schmierigen welschen Ermittler zu schaffen, mit dem man Sie in Meran herumziehen sieht?«
In Lissie schoss die Wut hoch. Schon wieder hatte es dieser fiese Alte geschafft, dass sie sich wie eine Schlampe fühlte. Eine, die mit jedem rummachte, um an Informationen zu kommen. Woher wusste der Alte überhaupt, dass sie Pavarotti kannte? Hatte Kirchrather etwa einen heißen Draht zu einer der beiden Figuren unter Pavarotti, die sich Polizisten nannten? Mit Mühe gelang es ihr, die Beleidigung herunterzuschlucken. Kirchrather war ja bloß darauf aus, dass sie die Beherrschung verlor. Aber nicht mit ihr.
»Das liegt doch wohl auf der Hand. Ich will den Felderer-Fall mit in die Geschichte einbauen. Er zeigt ja ganz deutlich, wie groß das Gewaltpotenzial in Ihrem idyllischen Kurort auch heute noch ist. Meine Story wird vielen Südtirol-Kurgästen die Augen darüber öffnen, was hier eigentlich los ist: Tagsüber regieren die Rollstühle, aber wenn es Nacht wird in Meran, dann veranstalten die Einheimischen ihren blutigen Mummenschanz. Die Touristen können dabei ja noch froh sein, dass sie nicht ihren Betten ermordet werden.«
Entsetzt starrte Kirchrather sie an. Sein Essen stand unberührt vor ihm. Lissie dagegen spießte ein Stück Kaiserschmarren auf und verleibte es sich genüsslich ein. »Wer weiß, vielleicht hat dieser schöne, saftige Felderer-Mord ja sogar mit der damaligen Terrorszene zu tun! Nach dem Motto: Alte Sünden werfen lange Schatten!« Damit hatte sie zwischen zwei Bissen schnell noch eine weitere explosive These platziert.
Lissie fand immer mehr Gefallen daran, die Fakten mit an den Haaren herbeigezogenen Schlussfolgerungen zu spicken und das Ganze zu einem möglichst giftigen Skandalcocktail zu verpanschen. Sie hatte vor, dem Alten, für den das Geld der Touristen ganz bestimmt das Wichtigste im Leben war, gehörig Feuer unter dem Hintern zu machen. Sie war davon
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