Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
ihn an. »Und das erzählst du mir erst jetzt?«
Pavarotti reagierte nicht, sondern ging schweigend weiter.
Als sie ihn wieder eingeholt hatte, fragte Lissie nach einer Weile vorsichtig: »Hat das was damit zu tun, dass du ausgerechnet in Südtirol Polizist geworden bist?«
Pavarotti blieb einige Sekunden still, dann erwiderte er mit flacher Stimme: »Das ist eine lange Geschichte. Bleib beim Thema.«
Lissie lag schon auf der Zunge, dass sie ja genau da war, beim Thema. Aber dann beschloss sie, ihn nicht länger mit Fragen zu bombardieren. Es hätte keinen Sinn, das spürte sie.
»Es war so. Ich habe Kirchrather bei dem Mittagessen weisgemacht, dass ein Freund aus Meran meinem Opa von einem Verräter im BAS geschrieben hat. War natürlich gelogen. Das hab ich alles erfunden, um den Kirchrather aufzuscheuchen.«
»Hat ja ziemlich gut geklappt«, erwiderte der Commissario trocken. »Wie bist du denn überhaupt auf diese Verräterstory gekommen?«
»Weil ich schon wusste, dass es wirklich einen gegeben hat«, versetzte Lissie. Sie kicherte. »Kirchrather hat ausgesehen, als würde ihn gleich der Schlag treffen.«
»Na, da bin ich ja mal gespannt«, sagte Pavarotti mit gespielter Neugier. Er war davon überzeugt, dass Lissie den falschen Baum anbellte. Ganz egal, wer auch immer der Verräter gewesen sein mochte, falls er überhaupt existiert hatte – Karl Felderer konnte mit diesen ollen Kamellen nichts zu tun haben. Der war zu dieser Zeit noch gar nicht auf der Welt gewesen.
Ächzend hielt er wieder einmal inne und stützte sich auf seinen Stock. Mittlerweile zwickte ihn auch sein Rücken, der Rucksack scheuerte, und in seinen Kniegelenken pochte es immer stärker. Doch Lissie schob ihn gnadenlos weiter und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Almhütte, die gerade in Sicht gekommen war.
Höchstens noch fünfzig Meter Abstieg. Ein gemütlicher, von Elektrozäunen eingesäumter Weg mitten durch Almwiesen trennte sie von ihrem Ziel. Noch eine große Wegschlaufe, ein letztes, wieder etwas steileres Stück. Plötzlich tauchte die Alm direkt unterhalb der letzten Biegung auf. Pavarotti hätte auf ihr schindelgedecktes Dach treten können. Er bückte sich und berührte das weiche Moos, das in einer Dachrinne wuchs. Vielleicht brauchte er wie hier nur die Hand nach der Lösung auszustrecken? Konnte es sein, dass diese Hütte doch mehr für ihn bereithielt als ein Ausflug in die jüngere Geschichte Merans? Während er um die letzte Kurve bog, vorbei an einer rostigen Landmaschine, war sich Pavarotti plötzlich nicht mehr so sicher, dass er die ihm aufgenötigte körperliche Ertüchtigung umsonst auf sich genommen hatte.
Die kleine Aussichtsterrasse vor der Hütte war menschenleer. Ein paar Hängekörbe mit vertrockneten Geranien aus dem letzten Sommer drehten sich in der frischen Brise um ihre eigene Achse. Die Aufhängungen knarzten, ansonsten war es so still, als sei die Hütte gar nicht mehr bewirtschaftet. Doch ihre Ankunft musste beobachtet worden sein, denn noch bevor Lissie den Klopfer betätigen konnte, öffnete sich die Tür einen Spaltbreit.
* * *
In der Essküche der Leadner Alm herrschte eine seltsam umtriebige Atmosphäre. Der Grund dafür war der geradezu zwanghafte Aktionismus, den die Leadner Bäuerin veranstaltete.
Die alte Frau hatte Lissie und Pavarotti an einen Küchentisch dirigiert, der mit einem bunten Wachstuch bedeckt war. Selbst ließ sich aber nicht dazu bewegen, Platz zu nehmen. Stattdessen rotierte sie permanent zwischen Anrichte und Küchentisch und fuhr eine Unmenge von Essen auf. Gleichzeitig schossen ihre Augen zwischen ihren beiden Gästen hin und her.
Lissie war von der alten Frau beinahe wie eine alte Bekannte begrüßt worden. Pavarotti gegenüber hatte sie sich zwar freundlich, aber scheu verhalten und den direkten Blickkontakt gemieden. Pavarotti hatte gespürt, dass sie ein bisschen Angst vor ihm hatte. Er war überrascht, dass die kleine, dürre Frau die Energie aufbrachte, in der Küche herzuwuseln. Sie musste weit über siebzig sein.
Gerade eben hatte ihr Hintern die Sitzfläche eines Stuhls eine Sekunde lang berührt, doch dann war sie erneut in die Höhe gehopst und in einen Nebenraum geeilt. Vermutlich war das die Speisekammer.
Der Tisch bog sich mittlerweile unter einer riesigen Kaffeekanne und mehreren Platten, die mit aufgeschnittenen Kaminwurzen und Speckbroten belegt waren. Außerdem hatte die alte Frau zwei Karaffen mit Weiß- und Rotwein aufgefahren.
Als die
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