Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
wenn sie auftauchte, und sich von ihr ausfragen lassen. Nach allem Möglichen, Widerstand zwecklos. Es waren Wochen voller geheimnisvoller Entdeckungen gewesen. Natürlich ging es nie um richtig große Geheimnisse, nach den Maßstäben der Erwachsenen. Traurige, unerfüllte Liebeshistörchen, alte Fotos von in Ungnade gefallenen Familienmitgliedern, Zeitungsausschnitte mit ungeklärten Unfällen am Berg, so etwas halt. Lissies Ohren waren permanent auf Mithören geschaltet gewesen. Sie merkte, dass sie Gänsehaut bekam. Wieder einmal in Meran auf Spurensuche, das wäre was!
Bevor sie sich die Sache genauer überlegen konnte, hörte sie sich schon sagen: »Na ja, wenn Sie dermaßen in Schwierigkeiten stecken, helfe ich natürlich gerne aus. Also gut. Ich übernehme die Ermittlungen bei den Einheimischen, an die Sie nicht rankommen. Lassen Sie uns gleich mal besprechen, wen ich befragen soll und wie wir den Fall koordinieren.«
Im Nachhinein musste sich Lissie eingestehen, dass sie mit der Idee vielleicht doch ein wenig zu unvermittelt vorgeprescht war. Aber das rechtfertigte nicht das infernalische Gelächter des Dicken, das auf ihren Vorschlag folgte. Zuerst hatte dieser Pavarotti sie ein paar Sekunden schweigend angestarrt, danach begann er keuchend zu lachen und konnte sich gar nicht wieder einkriegen.
Irgendwann hatte der Mensch seinen wackelnden Bauch und seine Gesichtsmuskeln wieder einigermaßen unter Kontrolle und konnte halbwegs sprechen.
»Sie wollen mir helfen?«, gluckste er. »Sie sind doch völlig unbedarft! Keinen Schimmer von kriminalistischer Arbeit, geschweige denn von Interviewtechnik haben Sie!«
Wütend verzog Lissie ihren Mund zu einem Strich. Unbedarft! Ha! Plötzlich fühlte sich in die Defensive gedrängt, ihr Vorstoß war ihr auf einmal peinlich. Aber jetzt war es zu spät, zurück konnte sie nicht mehr. Lissie holte Luft. Trotzig brachte sie vor, dass sie durchaus mit ein paar einschlägigen Erfahrungen mit den hiesigen Einheimischen aufwarten konnte.
Doch Pavarotti grinste bloß, anscheinend gänzlich unbeeindruckt von ihrer Geschichte, und musterte sie außerdem noch richtig unverschämt von oben bis unten. »Und wann war das, vor dreißig Jahren, oder so? Haben Sie sich mal in letzter Zeit im Spiegel angeschaut? Glauben Sie im Ernst, dass Sie heute noch irgendjemand hier ins Vertrauen zieht?«, fragte er kopfschüttelnd. »Mit diesen Haaren, Ihrem Gehabe und den Klamotten? Die feine Großstadttussi dringt Ihnen doch aus jeder Pore!«
Unwillkürlich zupfte Lissie an ihrem neuen Kurzhaarschnitt, den sie sich vor ein paar Tagen hatte machen lassen, und schaute an sich herunter. Was hatte der Kerl bloß, sie trug doch nur eine einfache Armani-Jeans und ein weißes Oberteil von Jil Sander, ganz schlicht, ohne Firlefanz.
»Na und, das ist doch wurscht!«, konterte sie. »Darauf kommt es gar nicht an. Hauptsache, ich weiß, wie man mit den Leuten umgeht! Und außerdem, hier in Meran gibt’s auch genügend reiche Kaufleute, oder vielleicht nicht?« Lissie reckte ihr Kinn, aber der Dicke griente schon wieder.
»Stimmt. Die sind aber eher bodenständig und riechen nicht Meilen gegen den Wind nach Geld, so wie Sie. Eine Schickeria gibt’s hier nicht. Sie hätten halt durchfahren sollen bis nach Mailand!«
»Stimmt nicht! Der Tote, also der Karl Felderer, der war ganz bestimmt nicht bodenständig und bescheiden. Wenn einer nach Geld gestunken hat, dann der!«, wehrte sich Lissie.
»Kann schon sein«, gab Pavarotti zurück. »Aber der war eine Ausnahme in Meran, und diese Ausnahme ist jetzt tot. Der Rest tickt anders. Die Einzigen, die Ihnen hier etwas stecken, sind entweder blind oder taub oder beides. Und die wissen dann eh nichts. Also Schluss jetzt mit dem Unfug. Die einzige Möglichkeit, mir zu helfen, haben Sie als Zeugin! Und dementsprechend verhalten Sie sich bitte.«
Arroganter Blödmann. Lissie zuckte die Schultern und versuchte angestrengt, ihre Enttäuschung zu überspielen. »Dann halt nicht. Dann stellen Sie jetzt Ihre Fragen, damit wir es hinter uns bringen und ich meine Ruhe vor Ihnen habe.«
Sie lehnte sich zurück und setzte eine abweisende Miene auf. Pavarotti hob die Augenbrauen, als sie seine Fragen zu ihrer Begegnung mit Karl Felderer bloß mit dem Nötigsten beantwortete, sagte aber nichts. Genüsslich ließ Lissie ihre schlechte Laune an ihm aus und begann, den Dicken einer unverhohlenen Musterung zu unterziehen. Wie du mir, so ich dir, dachte sie.
Pavarottis
Weitere Kostenlose Bücher