Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
winzigen Geschäft für Bernsteinschmuck und einem altmodischen Wäschegeschäft mit riesigen Körbchengrößen im Schaufenster. Läden für ältere Kunden, die von älteren Leuten geführt wurden. Waren die erst einmal weggestorben, dann würden diese Geschäfte auch verschwinden. Pavarotti überlegte, ob »tempus fugit« grammatikalisch korrekt war. Er musste an seine Schwester denken. Das Einbimsen von Lateinvokabeln und lateinischer Grammatik war ein beliebtes Züchtigungsmittel seines Vaters gewesen. Editha hatte sich willig vom Vater dressieren lassen, Pavarotti hatte sich widersetzt und Prügel kassiert. Er hatte viel lieber mit seiner Großmutter Deutsch gesprochen.
Pavarotti nahm unter der Markise des Hilti Platz, möglichst weit weg von einem langen Riss, der bereits Regensturzbäche hindurchließ. Ihm war klar, dass es ihm darum ging, den Termin in der Gerichtsmedizin so weit wie möglich hinauszuzögern. Pavarotti schloss die Augen, um die Vorstellung einer Sektion zu verdrängen. Da fiel ihm ein, dass es eine gute Idee wäre, seine Schwester nach der Bedeutung einer lateinischen Vokabel zu fragen. Die Möglichkeit, ihn belehren oder korrigieren zu können, stimmte sie in der Regel gnädig. Vielleicht würde sie sich dann hinreißen lassen, die Autopsie an Karl Felderer vorzuziehen und schon mal mit ein paar Einschätzungen herauszurücken. Man würde sehen. Pavarotti streckte seine Beine aus und machte der Bedienung ein Zeichen, um einen Cappuccino zu bestellen.
»Grüß dich, Luciano, nimmst dir eine Auszeit?« In der offenen Tür zum Innenraum des Hilti stand Elsbeth Hochleitner. Pavarottis Miene bewölkte sich. Er verspürte keine Lust auf ein Gespräch, und mit der Hochleitnerin schon gar nicht. Aber dagegen war jetzt nichts mehr zu machen. »Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
Verkniffen lächelnd schüttelte Pavarotti den Kopf. »Ich hab gerade meinen Nebenjob beim Pfarrer abgeliefert. Jetzt hab ich erst mal nicht viel zu tun«, erklärte sie. Pavarotti nickte. Er wusste, dass sich Elsbeth mit kleinen Restaurierungsarbeiten über Wasser hielt. »In der Pension ist es auch ruhig, ich hab ja außer dir nur ein paar Gäste im Moment. Eine davon kennst du ja schon.«
Unwillkürlich verzog Pavarotti das Gesicht. Elsbeth musste lachen. »Ihr hattet einen schlechten Start, stimmt’s?«
»Kann man so sagen.« Die Untertreibung des Jahres, dachte Pavarotti.
Die Hochleitnerin schüttelte den Kopf. »Komisch ist die. Heut Abend will sie ins Kurkonzert, hat sie gesagt. Was die wohl denkt, wer da auftritt? Vielleicht ein Gaststar von der Mailänder Scala, oder was?«
Pavarotti antwortete nicht. Die kulturellen Vorlieben dieser Frau waren ihm herzlich egal. Er merkte, dass ihn die Hochleitnerin scharf fixierte.
»Willst du darüber reden? So wie früher, als Bub?«, fragte sie.
Pavarottis Laune sank noch weiter. Die Erinnerung an das, worauf die Hochleitnerin anspielte, stieß ihm sauer auf.
»So wie damals, als du immer zu mir in die Werkstatt gekommen bist?«, fügte sie hinzu. Als ob er für diese Erinnerung noch eine extra Einladung brauchte! Er hatte nicht mehr aus noch ein gewusst, damals, mit vierzehn. Sie hatte ihm immer sofort einen Klumpen Lehm gegeben. Er hatte geknetet und geknetet, und seine Finger hatten sich in die weiche, gefügige Masse gebohrt. Und am Ende war ein wenig von dem Druck, der auf ihm lastete, und dem Schmerz, den er spürte, in den unförmigen Gebilden, die er produzierte, kleben geblieben.
»Worüber soll ich reden? Über diese dusslige Deutsche oder den Fall?«, gab er trotzig zurück.
Elsbeth lächelte. »Über den Fall natürlich. Ich spüre ja, dass er dir zu schaffen macht.«
Pavarotti nickte langsam. »Ich fürchte, dass wieder mal nicht viel rauszukriegen sein wird. Obwohl der Mann anscheinend nicht besonders beliebt war. Wir sind aber noch mittendrin in den Vernehmungen. Bis wir das alles durchleuchtet haben, das dauert und wird mühsam.«
»Die Mutter von Karl ist ja schon vor Jahren gestorben. Den Vater kenne ich aber ganz gut von früher«, sagte Elsbeth vorsichtig. »Wenn ich dir da helfen kann …«
Pavarottis Kopf ruckte hoch. »Meinst du, der Alte hat was damit zu tun? Ich war heute Morgen natürlich als Erstes dort. Irgendetwas war da wirklich seltsam. Ich hab mir schon vorgenommen, dieser jungen Witwe mal ordentlich auf den Zahn zu fühlen.«
»Die Louisa? Die kenn ich nur vom Sehen. Aber der Emil …« Elsbeth Hochleitner schaute
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