Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
»Meinetwegen, hier ist es sowieso kaum zum Aushalten.« An der Tür blickte sie sich nochmals um. Ihr Platz war schon wieder besetzt. Nicht zu fassen. Was fanden die bloß alle an diesem verschwendungssüchtigen Wiener Komponisten? Ein übler Frauenheld und Lebemann war er gewesen. Unwillkürlich musste Lissie an Karl Felderer denken. Offenbar boten die Mozart’schen Charaktereigenschaften auch heute noch beste Voraussetzungen, um jung zu sterben.
Pavarotti wartete bereits mit aufgespanntem Schirm draußen auf dem durchweichten Kiesweg – eine groteske Figur inmitten lädierter Rabatten, deren Frühjahrsbepflanzung den Sturzbächen des heutigen Tages nichts entgegenzusetzen hatte. »Kommen Sie schon unter den Schirm, sonst sind Sie in kürzester Zeit pitschnass. Ich beiße nicht.«
Lissie war von sich selbst überrascht, wie folgsam sie sich bei Pavarotti unterhakte, sich von ihm aus dem menschenleeren Park auf die Straße und in Richtung Bozner Tor führen ließ. Zu ihrer Verwunderung merkte sie, dass sie sich in der Gegenwart dieses unförmigen Chefinspektors, oder wie immer sich die oberen Dienstränge hier nannten, wohlzufühlen begann. Wieso konnte der eigentlich Deutsch?
»Sie sprechen aber wirklich sehr gut Deutsch, wie kommt das denn?«, sagte sie laut.
»Meine Großmutter war aus Deutschland«, lautete die kurze Antwort.
»Und was sind Sie? Chefinspektor?«
»Commissario«, antwortete Pavarotti noch einsilbiger.
Oh, oh, gleich wird er mich herunterputzen, wegen meiner kleinen Komödie bei der Renzingerin, dachte Lissie. Oder schlimmer. Vielleicht ist sein harmloses Getue bloß Theater, und er will mich jetzt unauffällig verhaften, weil ich mich für eine Polizistin ausgegeben hab? Lissie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen.
»Ich will jetzt wissen, wo Sie bei dem Wetter eigentlich mit mir hinwollen. Am besten gehen wir zurück ins Nikolausstift. Ich hatte Ihnen doch schon gesagt, dass die Kneipen alle voll sind.«
»Spielt keine Rolle.« Pavarotti hielt vor einem geschlossenen Weinladen namens Enoteca Editha, dessen Schaufenster mit einer ansehnlichen Grappa-Kollektion in ausgefallenen Gefäßen auf sich aufmerksam machte, griff in seine Jackentasche und zog einen Schlüsselbund hervor.
Er schloss die Ladentür auf, scheuchte Lissie hinein und verschwand mit ihrer Regenkleidung und dem Schirm nach hinten in geheimnisvolle dunkle Raumfluchten des schmalen Hauses. Ein paar Minuten später tauchte Pavarotti mit einer geöffneten Flasche Grappa und zwei Gläsern wieder auf. Er stellte sie auf einen Stehtisch und schenkte ein.
»Das ist was Feines, nicht der übliche Touristenfusel, den mein Exschwager sonst mit viel Erfolg an Ihresgleichen verkauft.« Er deutete auf das Fenster mit den goldverzierten Karaffen. »Darin ist nur Dreck, und die Karaffen bezieht er billig aus Südkorea. Aber die Touristen denken sofort an echte Südtiroler Handwerkskunst und Murano-Glas, ohne groß nachzufragen. Natürlich würde Albrecht nie etwas Falsches behaupten, dazu ist er viel zu schlau.«
»Exschwager?«
»Albrecht ist auch aus Deutschland, aus Neuss, genau genommen. Wegen meiner Schwester ist er damals nach Meran gezogen, hat sich allerdings schon nach fünf Jahren wieder von ihr scheiden lassen. Ich kann’s ihm wirklich nicht verdenken. Aber zwischen uns Männern hat es irgendwie gepasst. Diesen Weinladen hier, den Albrecht nach der Scheidung aufgemacht hat, hat er als alter Zyniker nach meiner Schwester benannt. Sie hat ein kleines Alkoholproblem, das sie aber noch ganz gut überspielt. Editha leitet die hiesige Gerichtsmedizin. Zum Wohl.«
»Wow!« Etwas Passenderes fiel Lissie spontan nicht ein. Warum erzählte er ihr das bloß alles? Wenn das so weiterging, kamen ihre ausgefeilten Fragetechniken ja gar nicht zum Einsatz. Sie nahm einen ordentlichen Schluck – und bekam keine Luft mehr. »Uhrgg, wollen Sie, dass ich mir eine Alkoholvergiftung zuziehe? Das ist doch kein Grappa!«
»Doch, aber ich konnte ja nun wirklich nicht ahnen, dass Sie damit Sturztrinken veranstalten. Das ist ein etwas höherprozentiges feines Tröpfchen, das man in kleinen Schlucken genießt! Oder langen Sie beim Alkohol immer gleich so üppig zu wie mein geliebtes Schwesterherz?«
»Mir reicht’s.« Lissie schob ihr Glas beiseite und versuchte das herablassende Grinsen ihres Gegenübers zu ignorieren. »Was wollen Sie eigentlich? Ich dachte, Sie wären mit der Befragung von mir durch?«
Pavarotti holte tief
Weitere Kostenlose Bücher