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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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und alten Ausgaben der »Dolomiten« überladenen Tisch auf und starrte geradeaus, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Sie hatte lediglich ein halbes Dutzend Texte quergelesen, aber das hatte gereicht, um sie ziemlich außer Fassung zu bringen. Vor Erregung fing sie an, ihre Leselampe aus- und wieder anzuknipsen. Die meisten Touristen, sie bis eben eingeschlossen, hatten bestimmt keine Ahnung, wie häufig es in dieser Kuhglocken- und Edelweißidylle bis in die siebziger Jahre hinein geknallt hatte.
    Und dabei hatte sie immer gedacht, Südtirol sei ein beschauliches Plätzchen. Ganz früher war hier Gewalt an der Tagesordnung gewesen, klar, aber doch nicht mehr im Dunstkreis der eigenen Generation! Terroristen, konspirative Zellen, Bombenattentate inmitten von akkurat gepflegten Weinbergen und saftigen Obstbaumwiesen, über die emsig tagein, tagaus das Wasser aus Hunderten von Bewässerungsschläuchen strich? Unvorstellbar.
    Doch diese Südtiroler Bombenjahre waren tatsächlich erst ein paar Jahrzehnte her! Offenbar war sie bloß ein Jahr nach dem Ende der Attentate das erste Mal mit ihrem Vater in Meran gewesen! Ein leichter Anflug von Hysterie stieg in ihr auf, und Lissie war zu perplex, um ihn abwehren zu können. Sie musste giggeln und zog sich einen strafenden Blick der grauhaarigen Bibliothekarin zu, die gerade Bücher einsortierte. Ob die kurenden Omis wohl in Ohnmacht fallen würden, wenn die wüssten, dass in einigen der urgemütlichen Keller, dort, wo sie ihre Traubensäftchen schlürften, Bombenpläne geschmiedet worden waren?
    Sie schaute in eine Zeitung von 1953, die ausgebreitet vor ihr lag. Den Südtirolern war es um Autonomie, Selbstbestimmung, so was in der Art, gegangen. Das klassische Umstürzler-Motiv, wenn einem die Verhältnisse nicht passten. Ein paar von den Hiesigen hatten anscheinend keinen Bock mehr gehabt, sich von den Italienern herumkommandieren, schikanieren und durch deren zahlenmäßige Mehrheit erdrücken zu lassen. Was die Bombenleger in Lederhosen da auf die Beine gestellt hatten, war anfangs ziemlich harmlos gewesen. In die Luft geflogen war ja bloß ein Haufen Strommasten, um die Wirtschaft lahmzulegen und die Italiener zur Weißglut zu treiben. »Heut Nacht tuscht’s wieder«, hatte man sich damals in Bombenlegerkreisen zugeflüstert, wenn es mal wieder so weit war. Das klang ein wenig wie Strommastensprengen im Takt der Südtiroler Volksmusik. Ganz anders als die deutsche RAF , deren Mitglieder von Anfang an auf das Töten aus waren, hatten die Südtiroler Aktivisten Menschenleben nicht gefährden wollen, auch wenn dieses Prinzip im Laufe der Jahre immer mehr von der zunehmenden Gewalt unterspült wurde. Trotzdem. Die Aktivisten aus Südtirol hatten Mord nicht im Sinn gehabt.
    Kaum hatte Lissie diese Gedanken zu Ende gedacht, da schoss ihr das Blut ins Gesicht. Sie schob ihren Stuhl ruckartig zurück, sodass er quietschend über das Linoleum schrammte, und stürmte zum Fenster. Ein weiterer strafender Blick der Bibliothekarin, der an Lissie aber total verschwendet war. Schnaufend blieb sie stehen. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf werde gleich platzen. Fing sie jetzt auch schon an, die Gewalttaten zu verharmlosen, so wie ihr Vater, der solche Schweine hatte vor Gericht verteidigen wollen? Und wie kam es bloß, dass das Thema Terrorismus sie schon wieder am Wickel hatte und sie davon abhielt, endlich einen Strich unter ein quälendes Kapitel ihrer Jugend zu machen?
    Apropos Jugend. Lissie kam wieder zu Bewusstsein, was sie ursprünglich vorgehabt hatte. Ihr Ausgangspunkt war gewesen, in der Jugendzeit von Emil Felderer herumzustochern. Lissie holte tief Luft und atmete langsam aus. In den Jugendjahren des Alten war ordentlich etwas los gewesen.
    Wieder ruhiger geworden, ging sie zu ihrem Platz zurück. Ich kann verdammt noch mal selbst entscheiden, wie ich was beurteile, und mein Vater kann mich mal, dachte sie. Und um mir eine halbwegs fundierte Meinung über die Südtiroler Terrorszene zu bilden, reicht es nicht, kurz mal eben fünf Texte im Schnelldurchlauf zu sichten. Mit einem Seufzer schmiss sie sich auf ihren Stuhl und starrte missbilligend auf die Bücherberge, die sich auf dem Tisch vor ihr auftürmten. Womit anfangen? Hatte es überhaupt Sinn?
    Lissie war klar, dass Tirol früher häufig Schauplatz von Kämpfen gewesen war. Der Freiheitskämpfer Andreas Hofer fiel ihr ein, der stammte ganz aus der Nähe, aus dem Passeiertal, und hatte den Tiroler Landsturm –

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