Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
er würde gleich Gift und Galle spucken. Doch dann verzog er sein Gesicht bloß zu einem humorlosen Grinsen. »Ihr verfluchten Deutschen, ihr mit euren verbalen Tricks. Na gut, ich erzähl Ihnen, wie es damals bei uns war. Dann können Sie selbst beurteilen, ob sich die Hiesigen damals zu Unrecht gewehrt haben.«
Er holte tief Luft. »Den ersten blutigen Vorgeschmack auf das, was auf meine Landsleute zukam, erhielten sie an einem Apriltag im Jahr 1921. Es war Frühjahrsmesse in Bozen, und der Trachtenumzug war in vollem Gange. Ein lustiges Treiben war’s. Jedenfalls am Anfang. Ich hab Fotos davon in einer alten ›Dolomiten‹-Ausgabe gesehen. Davor und danach.« Geistesabwesend begann ihr Erzähler damit, sich mit einer kreisförmigen Bewegung die Stirn zu massieren. »Es war ein Sonntag, den Fotos nach muss es ein herrlicher, sonniger Tag gewesen sein. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als die Schlägertrupps auftauchten. Mit Totschlägern, Pistolen und Handgranaten kamen sie und überfielen den Trachtenumzug. Es muss ein grauenvolles Gemetzel gewesen sein. Schwarzhemden waren es, militante Faschisten, denen es darum ging, uns Todesangst einzujagen, damit wir unsere nationale Identität vergessen und uns widerstandslos in ihren gottverdammten Welschenstaat eingliedern lassen.«
Lissie war geschockt. »Die konnten einfach so morden? Und ein solches Blutbad hat die Regierung zugelassen?«
Der Mann nickte. »Die Regierung war schwach, Mussolinis Faschistentrupps haben ungehindert das ganze Land terrorisiert. Die planten schon damals die totale Italianisierung. Um das zu erreichen, war Mussolini jedes Mittel recht. Kennen Sie den Namen Ettore Tolomei?«
Lissie schüttelte den Kopf.
»Tolomei war einer von Mussolinis ideologischen Einpeitschern. Dieser Mensch war von der Idee besessen, dass Italiens Nordgrenze am Brenner verlaufen muss. Da haben wir ihn wieder, den Brenner.« Er lächelte dünn. »Alle Gebiete südlich des Alpenhauptkamms gehörten seiner Meinung nach zu Italien. Egal, welche Leute dort lebten. Für die, die das Pech hatten, gab’s nur die Alternativen Vertreibung oder Assimilierung.«
Einen kurzen Moment lang schwiegen beide, dann deutete Peter mit dem Finger vage in Richtung Fenster. »Schauen Sie mal in den nächsten Tagen, wenn Sie Ihre Ferien genießen, auf Straßen- und Ortsschilder. Viele italienische Bezeichnungen stammen aus dieser Zeit. Ihr Fremden habt natürlich keinen Schimmer, was es damit auf sich hat. Falls ihr überhaupt was dabei denkt, dann ist das für euch bloß die italienische Übersetzung.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Wenn es das bloß wäre. Aber um Übersetzung ging es Mussolini damals nicht. Die wollten uns verhöhnen und uns unsere Identität nehmen. Den deutschsprachigen Ortsnamen haben die oft bloß eine italienische Endung angehängt. Wie zum Beispiel bei Merano. Aus Naturns haben die Naturno gemacht, halt so, wie es ihnen am besten zu ihrer italienischen Endung gepasst hat. Oder Moso, das ist aus unserem schönen Moos im Passeiertal geworden. Klingt doch lächerlich, oder?« Peters Stimme war rau geworden. »Das sollte heißen, mehr Mühe seid ihr uns nicht wert. Wissen Sie, woran mich das erinnert?« Er lachte meckernd. »An den Kapitän Turnerstick in Karl Mays ›Blaurotem Methusalem‹, der glaubt, perfekt Chinesisch zu können, indem er seinem Deutsch ein paar chinesisch klingende Endungen anhängt. Eng, ing, ong, ung. Bloß dass es bei uns nicht so lustig war.«
Lissie fand seine Interpretation ein wenig übertrieben. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Und wenn die Italiener es sich halt bloß einfach machen wollten? So sind halt die Schreibtischhengste in jeder Bürokratie, auf der ganzen Welt. Scheuklappen, wenig Grips, wenig Einfühlungsvermögen. Außerdem, wenn wir ehrlich sind – manche Dinge lassen sich nicht gut übersetzen.«
Peter schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Heilige Mutter Gottes, ich hätte nicht gedacht, dass ihr Deutschen heutzutage so naiv seid. Oder hat Ihre Generation wirklich schon alles vergessen? Ist das so was wie kollektive Demenz? Oder habt ihr vor lauter Geldverdienen wirklich keine Zeit mehr, aus dem, was passiert ist, zu lernen?«
In Lissie sprudelte der Zorn hoch. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Doch ihr Gesprächspartner achtete nicht mehr auf ihre Reaktion und redete weiter, als ob sie gar nicht da wäre.
»Das Erste, was Tolomei weghaben wollte, war der Name Südtirol. Tirol, das war ja was
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