Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
unsere Transaktion nicht erfolgreich abschließen können, wenn die Polizei überall herumschnüffelt und Fragen stellt.«
Felderer sagte nichts, sondern schaute dem Italiener einfach nur ins Gesicht. Lissie hatte das Gefühl, dass dieser Blick einen stummen Vorwurf enthielt, der den Neuankömmling sichtlich unruhig machte. Als ob er sich über einen wichtigen Punkt unschlüssig sei, blickte der Italiener ein paar Sekunden lang zur Seite. Als er schließlich seinen Blick wieder auf Felderer heftete, schien er einen Entschluss gefasst zu haben.
»Nun, aber in Ihrem Fall …« Er ließ den Satz unvollendet und setzte neu an, um die passenden Worte zu finden. »Aber angesichts Ihrer speziellen Historie habe ich als Seniorchef unserer Gruppe anders entschieden. Ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben, das Projekt Ihres Sohnes zum Abschluss zu bringen. Ich habe Ihnen den unterschriebenen Vorvertrag mitgebracht. Über den konkreten Preis werden wir uns sicher einig. Der Preisrahmen ist ja durch die Gespräche mit Ihrem Sohn bereits abgesteckt.«
Lissie beobachtete, wie der Italiener Papiere aus der Aktentasche holte, sie dem Alten zuschob und dann mit einem grußlosen Nicken durch die Eingangstür nach draußen verschwand.
* * *
Immer noch nicht ganz in Topform, saß Lissie eine Stunde später in einem Alkoven im obersten Stock der Meraner Stadtbibliothek, ausgerüstet mit einem brandneuen Leseausweis.
Der körpereigene Akku von Emil Felderer war nach der Auseinandersetzung mit seiner Schwiegertochter und dem Gespräch mit seinem italienischen Geschäftspartner offenbar erst einmal erschöpft gewesen. Nachdem der alte Knacker auf seinem Stuhl hinter dem Empfangstresen eingeschlafen war und, den Kopf im Nacken, in einer wirklich ekelhaften Weise angefangen hatte zu schnarchen, war Lissie zurück auf ihr Zimmer geschlüpft, hatte ihren Rucksack geschultert und das Hotel verlassen.
Lissie schüttelte sich immer noch unwillkürlich, wenn sie an den Alten dachte. Was war das bloß für ein Widerling, trotz seiner ganz gut erhaltenen Figur! Gleichzeitig war ihre Neugier geweckt. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Auf welche spezielle Historie hatte der Italiener angespielt? Und was war das für eine Transaktion, bei der die Polizei angeblich störte? Lissie war fest entschlossen, Licht in die Angelegenheit zu bringen – und sei es nur, um es diesem skurrilen Macho-Dickerchen aus Spaghetti-Land so richtig zu zeigen.
Prüfend schaute sie sich um. Die Bibliothek war in den obersten beiden Stockwerken eines Stilaltbaus am Rennweg untergebracht. Im Erdgeschoss residierte die Südtiroler Volksbank, deren beleuchteten Namenszug Lissie durch die bis zum Boden reichenden Fenster ausmachen konnte. Sie vermutete, dass der Bank das gesamte Gebäude gehörte und sie die städtische Einrichtung aus ihrem Kulturfonds subventionierte. Im Gegenzug arbeitete die Kommunalverwaltung von Meran sicher gut mit den Volksbankern zusammen. Die Wege zwischen finanziellen und kulturellen Angelegenheiten sind vermutlich auch in Meran extrem kurz, dachte sie ironisch.
Der Rennweg schien sowieso ein Hort kultureller Werte zu sein. Auf dem Weg vom Hotel hierher war Lissie ein Türschild aufgefallen, das auf die Niederlassung der »Bozener Kulturverwaltung, Sektion Meran« hinwies. Als Lissie das Schild passierte, wäre sie fast mit ihrer Exwirtin zusammengestoßen, die dort aus der Tür schoss. Die Hochleitnerin hatte ein ganz fleckiges Gesicht gehabt und war davongehastet. Hatte die etwa geheult? Und was hatte die in der Kulturverwaltung zu suchen?
Lissie zuckte die Achseln. Dieses Geheimnis würde sie bestimmt noch lüften, aber nicht jetzt. Erst einmal hatte sie eine Zeitreise in das Meran zur Mitte des letzten Jahrhunderts vor. Der alte Felderer-Patriarch war schätzungsweise Jahrgang 1930, höchstens 1935. Wenn es irgendwelche Auffälligkeiten in seiner Vita gab, dann hatte sie die besten Chancen, darauf zu stoßen, wenn sie systematisch vorging. Was bedeutete, dass sie bei den Jugendjahren Emil Felderers anfangen musste. Also bei den Fünfzigern und Sechzigern. Wenn sie wusste, was damals in Meran los gewesen war, bekam sie vielleicht eine Idee, was es mit dem Alten auf sich hatte. Eine vage Möglichkeit, mehr nicht. Aber sie war ja schließlich im Urlaub und hatte Zeit. Entschlossenen Schritts steuerte sie auf den Zettelkatalog der Bibliothek zu.
* * *
Eine Stunde später schaute sie von ihrem mit Südtiroler Geschichtsbüchern, Biografien
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