Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
ausgesprochen geschickte Art mauerte. Vor lauter Verbindlichkeit hatte der eine ganz weich gespülte Stimme bekommen. Der Alte spielte den Kooperativen und strapazierte dabei seine Rhetorikkünste bis zum Gehtnichtmehr. Es war schon eine echte Begabung notwendig, um eine halbe Stunde lang immer wieder das Gleiche in unterschiedlichsten Variationen zu erzählen, das musste Pavarotti zugeben.
Ohne Zweifel habe der VEMEL mit dem Ermordeten so seine Differenzen gehabt, sagte Kirchrather in sorgenvollem Ton. Aber es sei ja um eine sachorientierte Auseinandersetzung der Verbandsmitglieder mit ihrem Vorsitzenden gegangen. Und ein Verband ermorde doch niemanden, nicht wahr. Persönliche Motive einzelner Verbandsmitglieder habe es nicht gegeben. Zumindest sei ihm, Kirchrather, hiervon nichts bekannt. Nicht das Geringste.
»Wie hätten Sie Felderers Verpachtungspolitik eigentlich stoppen wollen?«, fragte Pavarotti nach.
Hilflos zuckte Kirchrather die Schultern. »Gar nicht. Wie auch? Karl hatte das Recht auf seiner Seite. Es waren schließlich seine Immobilien. Er konnte vermieten, an wen er wollte. Unser Verband ist ja nur ein freiwilliger Zusammenschluss, und die Beschlüsse sind nicht rechtsverbindlich.« Der alte Schatzmeister seufzte und schenkte seinem Gegenüber Kaffee nach.
»Schauen S’, Herr Kommissar. Natürlich haben wir als Verband die Pflicht, diese Dinge ernst zu nehmen. Das ist schließlich unsere Aufgabe. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Touristen das besondere Flair der Lauben lieben, diese kleinen Läden voller Atmosphäre. Viele kommen ja deswegen her. Aber im Grunde ist uns allen klar, dass die Veränderung nicht mehr aufzuhalten ist. Mit oder ohne Karl Felderer. Immer weniger Touristen kaufen in den alteingesessenen Lauben-Geschäften teure handgefertigte Mitbringsel. Wer Geld hat, will heute italienische Marken, Armani, Versace, Bulgari, Gucci, Miu Miu und wie sie alle heißen. Die alten Meraner Ladenbesitzer sterben aus, die jungen verkaufen und ziehen weg. Glauben Sie wirklich, dass die Lauben da noch einen Mord lohnen? Niemand von uns würde sich die Mühe machen.«
Plötzlich kam sich Pavarotti lächerlich vor.
Auf dem Weg zur Haustür verabschiedete Kirchrather seinen Gast mit den Worten: »Jetzt habt’s ihr Welschen ja doch noch geschafft. Was ihr damals mit der Brechstange nicht hingekriegt habt, das habt ihr jetzt durch die Hintertür mit euren Modelabels gepackt. Früher waren wir Südtiroler noch Mannsbilder. Jetzt sind wir weg vom Fenster, Commissario.«
* * *
Der Suitenflügel lag trotz des frühen Nachmittags im Halbdunkel; überall hatte das Personal die dicken eierschalenfarbenen Leinenvorhänge vor die Fenster gezogen. Das Hotel machte einen ausgestorbenen Eindruck, trotzdem beschloss Lissie instinktiv, keinen Lichtschalter zu betätigen. Sie hielt sich am Geländer fest, um auf der spiralförmig nach unten führenden Treppe nicht zu stolpern.
Unten angelangt, stellte sie fest, dass auch an der Rezeption nur drei kleine Deckenstrahler brannten, die kleine Lichtpunkte auf die polierte Kirschholzfläche der Empfangstheke zeichneten. Obwohl sie sich ziemlich benommen fühlte, überlegte sie, ob sie jetzt schon die Gelegenheit nutzen sollte, sich ein wenig umzusehen. Sie war schließlich eine verdeckte Ermittlerin, und als solche war Schnüffelei Teil ihrer Tätigkeitsbeschreibung. Fast hätte sie gekichert. Mannomann, jetzt brauchte sie sich wegen ihrer Neugierde nicht mehr zu genieren, denn die war ja ab jetzt ihre wichtigste Kernkompetenz.
Bloß – wonach sollte sie suchen? Lissie verzog das Gesicht. Es war viel zu riskant, die Fächer hinter der Rezeption zu durchwühlen. Was sollte sie sagen, wenn sich die Tür hinter der Rezeption öffnete? Sie hätte nicht die geringste Chance, ungesehen zu verschwinden. Und für den PC waren bestimmt Passwörter erforderlich. Lissie gestand sich ein, dass sie alles andere als eine IT -Spezialistin war. Sie verspürte keine Lust, eine fette Spur im Hotelcomputer zu hinterlassen, ohne es überhaupt zu merken.
Sie schaute sich um. Wenn man wirklich mal etwas bestellen wollte, wie sie jetzt einen starken Espresso, dann blieb die Bedienung garantiert unauffindbar. Vorsicht, Kundschaft. Sie schnaufte ungnädig und bekam prompt einen Schluckauf. Nach dem Genuss eines Viertelliters Champagner auf nüchternen Magen war einfach nicht damit zu rechnen, dass man in optimaler Verfassung war. Am besten erst mal setzen und Gedanken ordnen. Lissie
Weitere Kostenlose Bücher