Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
die ehemalige Industriezone Bozen.« Sein Finger auf der Karte kam auf einem weitläufigem Gebiet südlich Bozens zu liegen. »Die haben sich die Welschen einfallen lassen, um immer mehr Fabriken in Südtirol zu bauen, Tausende von italienischen Arbeitern hierher umzusiedeln und in Mietskasernen unterzubringen. Die waren natürlich nur Zählvieh, damit die Unsrigen zu einer Minderheit wurden. Außerdem mussten die Welschen den nötigen Platz schaffen. Dazu haben sie kurz vor der Obsternte Tausende von Obstbäumen und Weinstöcken abgeholzt. Die Bauern mussten ohnmächtig zusehen, wie ihr Lebenswerk und ihre Einkommensquelle der Axt zum Opfer fielen.« Irritiert hielt er inne und schaute über ihre Schulter. Bevor Lissie etwas sagen konnte, räusperte sich jemand hinter ihr vernehmlich. Lissie fuhr herum. Dort stand die Bibliotheksangestellte von vorhin.
»Darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir in einer Viertelstunde schließen? Wenn Sie also noch etwas ausleihen möchten …«
Peter zuckte die Achseln. »Na dann. Wie es später, nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Widerstand und den Bomben gekommen ist, müssen Sie eben selbst nachlesen.«
Er schob ihr sein Buch hinüber. Jetzt konnte sie den Titel sehen: »Südtiroler Bombenjahre – Von Blut und Tränen zum Happy End?« Der Autor hieß Peterlini. Nie gehört. Dem Namen nach Südtiroler, also vermutlich ziemlich fanatisches Geschreibsel. Nun gut.
Lissie stand auf und war gerade dabei, wieder ihren Leseausweis zu zücken, da sah sie, dass die Bibliothekarin den Kopf schüttelte. »Nein, Sie haben aber auch ein Pech heute. Das ist unser einziges Exemplar. Das verleihen wir nicht.« Lissie stieß ein tiefes Knurren aus und strebte eiligst dem Kopierer zu.
* * *
Lissie riss die Augen auf. Was für ein altertümliches Monstrum von einem Kopierer. Herrje, noch mit manuellem Seitenzählwerk! Lissie beobachtete, wie die Bibliotheksangestellte wortlos an das Gerät trat, um das Zählwerk auf null zu drücken. Sie nutzte den Moment, um schnell durch das Buch zu blättern, und seufzte. Es half nichts, sie musste ziemlich weit vorn anfangen. Am besten schon mit dem Kapitel »Das Geheimnis der Werwölfe – Südtirol nach dem Krieg«.
Während Lissie die erste Doppelseite vorsichtig auf der Glasplatte platzierte, um den Buchrücken nicht zu beschädigen, bückte sich die Frau und legte Papier nach. Die ersten kopierten Seiten glitten ins Ausgabefach, die Bibliothekarin nahm sie, drehte sie um und begann mit dem Aufschichten der Blätter.
Minutenlang war nur das Rattern und Schleifen des alten Geräts zu hören. Unvermittelt gab die Frau einen Kommentar ab. »Da haben Sie sich aber nichts Schönes als Ferienlektüre ausg’sucht. Ich glaub, Sie sind die erste Urlauberin, die sich dafür interessiert. Ganz, ganz schlimme Zeit, damals.«
Lissie nickte, und über die Schulter gab sie zurück: »Die Italiener haben viel kaputt gemacht, hat mir der Peter erzählt.«
Kurze Pause. Dann hörte sie, wie die Frau in das Brummen des Kopierers hinein sagte: »Es ist nicht bloß wegen der Italiener. Es heißt, dass sich auch Hiesige die Hände schmutzig gemacht haben sollen.«
Lissie drehte sich um. Die Frau schichtete Blätter auf und drehte ihr den Rücken zu. »Was meinen Sie denn damit?«
Ohne Lissie anzuschauen, sagte die Bibliothekarin: »Da war plötzlich Geld, wo vorher keins war.« Stille. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Na ja, da kommen die Leut halt ins Reden. Es gab viele Gerüchte damals, die können stimmen oder auch nicht. Ist lang her, und heut ist es eh nicht mehr wichtig.«
Lissie merkte, dass die Frau schon bereute, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben, und setzte schnell nach: »Und wer war das, der da plötzlich Geld hatte?«
Das Gesicht der Frau verschloss sich. »Ich weiß nicht. Hab das alles ja nicht selbst miterlebt. Da müssen Sie schon jemand anders fragen.«
»Wen denn?«
Die Frau schwieg kurz. Anscheinend war sie sich nicht sicher, ob sie den Namen preisgeben sollte. Schließlich sagte sie dann doch etwas zögernd: »Erich Kirchrather, den Inhaber der Buchhandlung bei der Nikolauskirche.«
»Aha, und warum gerade den?«
»Der Erich Kirchrather war was Wichtiges in der Südtiroler Volkspartei damals und ein enger Freund vom SVP -Obmann, dem Silvius Magnago, wissen S’. Es heißt, der Kirchrather hat jeden gekannt, der damals im Widerstand war. Der hat alles gewusst, wer was vorhatte, die ganzen Pläne, alles. Den können S’ fragen.
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