Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
aus der sie gekommen war. Oberflächlich und aus der Distanz betrachtet, waren keine weitreichenden Neuerungen im Straßenbild festzustellen.
Das Charakteristische an den Lauben waren die Bogengänge auf beiden Straßenseiten. Ihr Vater hatte ihr bei ihrem ersten gemeinsamen Urlaub in Meran erzählt, dass sie vor etwa tausend Jahren gebaut worden waren, um den Händlern Merans einen Ort für ihre Geschäfte zu schaffen, der wind- und wettergeschützt war und ausreichend Platz bot. Diese Bogengänge gab es noch immer, das natürlich schon.
Doch eine Reihe von Häuserfronten schien erst kürzlich renoviert worden zu sein. Die Fassaden schimmerten in der Sonne wie frisch lackiert. Ein paar Häuser präsentierten sich sogar in gelben, blauen und rosa Bonbonfarben, von denen sich das weiße Stuckwerk eine Spur zu kontrastreich abhob. Nach Lissies Geschmack hatten die Farben in Meran bräunlicher, erdiger zu sein, die Übergänge fließender. Lissie schüttelte den Kopf. Die Häuserfronten sahen klebrig aus. Wenn sie auf dieses Bonbonzeugs scharf gewesen wäre, hätte sie sich ein Flugticket in die Karibik gekauft.
Viele Geschäfte waren neu, bekannte internationale Modefilialisten waren darunter. Einige der Labels waren allerdings italienisch und sagten Lissie nichts. Es war aber offensichtlich, dass es sich um preisgünstige Ketten handelte. Der Laden, in dem Lissie damals ein Paar dieser gestrickten Südtiroler Hausschuhe gekauft hatte, die ihre Eisfüße so schön warm hielten, war weg. Er hatte einem Geschäft weichen müssen, das billige Ledersachen verkaufte. Insgesamt waren die Läden, die Industrieware anboten, in der Innenstadt auf dem Vormarsch.
Früher hatte Lissie die Meraner Lauben charmanter gefunden als ihr Pendant in der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen, auch wenn die Bogengänge dort breiter, die Fassaden reicher verziert und die Geschäfte eleganter waren. Der besondere Reiz der Meraner Lauben war ihre Bodenständigkeit. Jetzt schien die frühere Atmosphäre wohl mehr und mehr dem Kommerz zu weichen. Schade.
Bedrückt schaute sich Lissie um. Die schmalen Gassen, die rechts und links in die Hinterhöfe und Durchgänge in Richtung Küchelberg und zur parallel laufenden Freiheitsstraße entlang der Passer führten, die ausgetretenen Treppen, die hinter den Häuserfassaden zu einem Gewirr von baufälligen Wohnungen und Gängen abzweigten, in dem sich kaum ein Außenstehender zurechtfand, die vielen geheimnisvollen Winkel, die man auch nach zahlreichen Aufenthalten noch nicht erschöpfend erforscht haben konnte – all das war ihr Abenteuerspielplatz in den Ferien ihrer Teenagerzeit gewesen.
Schon damals war sie am liebsten für sich gewesen, ihr hatte die Sonne als Begleiterin genügt, unter der sich der Touristenstrom träge voranschob bis hinunter zur Pfarrkirche St. Nikolaus mit ihrer reich verzierten Turmspitze.
Ihr Vater hatte stets eine Heidenangst ausgestanden, dass eine ihrer Erkundungstouren ein schlimmes Ende nehmen könnte. Es gab genügend steile, ausgetretene Kellertreppen, die sie hätte hinunterstürzen können. Oder Kellerlöcher, in die sie gekrochen war, ohne zu wissen, was sie dort erwartete. Als sie an den Spätnachmittagen die eiserne Gartentür des Nikolausstifts aufstieß und das Geräusch ihn veranlasste, von seinem Buch aufzublicken, hatte sie ihm jedes Mal die Erleichterung angesehen. Gesagt hatte er nichts. Widerwillig musste sie lächeln, als sie daran dachte.
Lissie zahlte und tauchte in den kühlen Halbschatten der Gewölbe ein, die die Straße rechts und links begleiteten. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, einem ihrer Lieblingsdurchgänge Richtung Passer zu folgen, doch nach ein paar Schritten entschied sie sich anders. Was sie sah, hätte ihr ganz gut gefallen, wenn sie nicht etwas ganz anderes erwartet hätte. Mit dem Durchgang, den sie aus ihrer Jugend kannte, hatte der helle Lichthof, der vor ihr lag, nichts mehr zu tun. Das früher düstere Gelass war einer breiten, mit Glas überdachten Passage mit Geschäften und einem Café gewichen, ganz in Weiß und Terrakotta. Hier gab es keine Geheimnisse mehr. Sie kehrte um und folgte den Lauben weiter in Richtung Pfarrplatz, auf das Überleben des Buchladens Kirchrather hoffend.
* * *
Die Frau schaute aus dem Fenster in ihren Garten hinaus. Gleichgültig registrierte sie, dass auf ihre Gartenhilfe wie immer kein Verlass war. Nichts war so, wie es in einem Garten Ende April aussehen sollte. Die Steinplatten wurden von
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